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Perspektiven jenseits des Wachstums

Wachstumskritik und die Suche nach Perspektiven für Ökonomie und Gesellschaft jenseits des Wachstums sind ein globalisierungskritisches Projekt. Unsere Vorstellungen von Alternativen zielen nicht darauf ab, die Ökonomien innerhalb der bestehenden ökonomischen und sozialen Strukturen und Verteilungsverhältnisse zu schrumpfen, wie neoliberale und neofeudalistische Spielarten der Wachstumskritik dies befürworten. Stattdessen geht es uns darum, gesellschaftliches Zusammenleben grundlegend demokratisch und in Übereinstimmung mit den natürlichen Lebensgrundlagen zu organisieren. Nur durch eine Abkehr vom Wachstumsparadigma im globalen Norden kann globale ökologische und soziale Gerechtigkeit möglich werden. Die folgenden Perspektiven schließen dabei an eine Vielzahl von Überlegungen und Aktionen der globalen sozialen Bewegungen an.

Sozial-ökologischer Umbau

Industrialisierte Gesellschaften werden mit deutlich weniger Produkten und energieintensiven Dienstleistungen (wie z.B. Massentourismus) auskommen müssen als bisher. Damit stellen wir die ureigene Grundlage des Kapitalismus infrage, die bedeutet, dass nur investiert wird, wenn erwartet werden kann, dass mit dem eingesetzten Kapital Profit gemacht werden kann. Dies gelingt nur, wenn nicht nur mehr produziert, sondern auch mehr verkauft wird. Dabei müssen die Menschen mitspielen und sich dem Immer-mehr, Immer-größer, Immer-schneller auch persönlich unterwerfen. Bedürfnisse, menschliche Arbeit und Naturverbrauch werden auf diesen abstrakten Zweck hin ausgerichtet. In einer Postwachstumsperspektive muss dagegen die Frage gestellt werden, welche konkreten Produkte und Dienstleistungen die Bedürfnisse der Menschen mit einem möglichst geringen Naturverbrauch befriedigen.

Energiedemokratie und Klimagerechtigkeit

Ein rascher Umstieg auf erneuerbare Energien und deren möglichst effiziente Nutzung sind dringend geboten. Aber auch wenn das gelingt, kann nicht am bisherigen Verbrauchsmodell festgehalten werden. Eine deutliche Reduktion des Gesamtenergieverbrauchs ist unumgänglich. Der Energiesektor muss dabei grundlegend umgebaut werden – dezentral, konzernfrei und unter demokratischer Kontrolle. Die fossilistischen Sektoren der Wirtschaft, die von Öl, Kohle und Gas abhängen, müssen rasch und drastisch schrumpfen.

Ein erster Schritt könnte dabei sein, den sofortigen und vollständigen Ausstieg aus der Atomwirtschaft und der Kohleverstromung so zu gestalten, dass die dadurch nicht mehr produzierte Energie nicht ersetzt, sondern eingespart wird. Der Strom muss vor allem für diejenigen teurer werden, die dadurch den größten Anreiz zum Stromsparen hätten. Mengenrabatte sind Wachstumstreiber. Vielleicht wäre sogar eine Umkehr der Strompreisstaffelung hilfreich.

Deglobalisierung

Der Klimawandel und das Ende der besonders für den Transport innerhalb globaler Wertschöpfungsketten notwendigen fossilen Energieträger machen eine Deglobalisierung und einen Bruch mit der Freihandelsdoktrin erforderlich. Die globalen Finanzmärkte müssen demokratisch kontrolliert und deutlich geschrumpft werden. Regionalisierung und Lokalisierung von Produktion, Verteilung und Konsum sind dringend notwendig, wobei es gilt, die damit einhergehenden reaktionären Gefahren der Retraditionalisierung und einer Rückkehr zum Nationalismus zu bekämpfen. Ernährungssouveränität und Energiedemokratie könnten dabei Einstiegsprojekte sein.

Risikotechnologien

Destruktiv- und Risikotechnologien wie Atomenergie, Gentechnik oder Rüstungstechnologien müssen schon deshalb beseitigt werden, weil sie grundsätzlich nicht beherrschbar sind – auch ein größter anzunehmender Unfall im Bereich der Gen- und Nanotechnologie würde die gesamte Biosphäre gefährden. Ihre Beseitigung würde auch Platz machen für energie- und emissionsärmere, ressourcenschonende Prozesse.

Technologien und Verfahren ohne Gebrauchswert

Zahlreiche ökonomische Abläufe finden nur deshalb statt, weil so die Gewinne der Unternehmen steigen. Dazu gehört ein Großteil des Transports und globaler Handelsströme, die Billigproduktion auf möglichst raschen Verschleiß, fast die gesamte Verpackungs- und Müllindustrie, die Werbung und manches andere. All das muss radikal eingeschränkt werden. Ein erster Schritt wäre die Einführung einer Transportsteuer.

Antimilitarismus und Migration

Da Profitsteigerung und Wirtschaftswachstum nur auf Kosten der Menschen und ihrer natürlichen Lebensgrundlagen erreichbar sind, ist das kapitalistische System von struktureller Gewalt durchdrungen und extrem konfliktträchtig. Wachsende globale Ungerechtigkeit sowie zunehmende Ressourcenknappheit steigern die Kriegsgefahr weltweit. Ressourcenkriege sind bereits leidvolle Realität. Vor diesem Hintergrund kommt es entscheidend auf die Stärkung antimilitaristischer und pazifistischer Kräfte an, die jeder militärischen Intervention die Legitimität entziehen. Die europäische Grenzschutzagentur Frontex oder Triton kämpfen an den Außengrenzen der EU gegen Flüchtlinge, zunehmend auch gegen Opfer von Hunger, Ressourcenkriegen und Klimakatastrophen. Es ist entscheidend, dass die europäischen Gesellschaften sich ihrer Verantwortung für diese Menschen bewusst werden, die Grenzen öffnen und eine Humanisierung der Flüchtlingspolitik umsetzen.

Umverteilung und Sicherung des Sozialen

Wir müssen die Vorstellung überwinden, dass nur umverteilt werden kann, wenn die Wirtschaft wächst. Längst geht es darum, mit knappen Ressourcen solidarisch umzugehen und zu verhindern, dass sich eine Elite einen übermäßigen Naturverbrauch leisten kann, während immer größeren Bevölkerungsteilen das Nötige fehlt. Es ist genug für alle da, aber das bedeutet nicht, dass jedeR immer von allem alles haben kann.

Ein aufmerksamer und verantwortungsvoller Umgang mit den ökologischen und geografischen Grenzen der Erde ist unerlässlich. Der Abschied von bisherigen Lebensgewohnheiten (jährliche Urlaubsflüge etc.) wird nur dann auf die nötige Akzeptanz stoßen, wenn es dabei demokratisch und gerecht zugeht und die sozialen Grund- und Freiheitsrechte aller Menschen geachtet werden. Wenn in einem ersten Schritt der Konsum der Eliten, unproduktive kollektive Verschwendung und der Herrschaftskonsum beschnitten werden, dann wird den Menschen die Einsicht in die eigenen Anteile an der Verschwendungswirtschaft sehr viel leichter fallen.

Landwirtschaft

Bei höchstem Energieverbrauch und unter Belastung von Tier (Massentierhaltung) und Umwelt erzielt die industrielle Landwirtschaft zwar höhere Sortenerträge, insgesamt aber bleibt der Ertrag pro Fläche deutlich hinter dem der handwerklich arbeitsintensiveren ökologisch-bäuerlichen und kleinbäuerlichen Landwirtschaft zurück. Bei der Umstellung von der industriellen auf die ökologisch-bäuerliche Landwirtschaft müssen diese Betriebe entsprechend gefördert werden: mit finanzieller Unterstützung, Zugang zu Land, Wasser, Arbeitsgeräten und Fortbildung. Unter dieser Voraussetzung könnte eine (klein-) bäuerlich-ökologische Landwirtschaft bei geringerem externem Input die Gesamtproduktion sogar steigern und damit die Ernährung der Weltbevölkerung sicherstellen.

Arbeitszeitverkürzung

Produktivitätssteigerung erzeugt im vorhandenen System den Zwang zum Wirtschaftswachstum, um Arbeitsplätze zu erhalten. Erwerbstätigkeit ist für die meisten Menschen nicht nur eine Notwendigkeit der materiellen Versorgung, sondern auch ein sinnhafter Lebensinhalt und ein Aspekt ihrer gesellschaftlichen Würde. Deshalb müssen bei abnehmendem Wirtschaftsvolumen nicht nur die Erzeugnisse, sondern auch die Arbeit selbst neu und gerechter verteilt werden. Die allgemeine Verkürzung der Erwerbsarbeitszeit schafft zugleich Raum für eine auch geschlechtergerechtere Verteilung und Aufwertung notwendiger und wünschenswerter nichtkommerzieller Tätigkeiten wie Erziehung, Pflege, politische und künstlerische Betätigung.

Umverteilung der Arbeit bedeutet aber auch, Spielraum zu schaffen für eine Steigerung des Arbeitseinsatzes, wo dieses sinnvoll ist, z.B. zur Reduzierung des Energieeinsatzes oder zur Verbesserung der Ergebnisqualität in sozialen Berufen, Landwirtschaft, Handwerk u.ä. Das heutige Niveau der Güterproduktion ist nur möglich, weil in großem Ausmaß fossile Energie verbraucht wird.

Gemeingüter und Entmonetarisierung

Wir bekämpfen die Privatisierungswut und treten dafür ein, dass insbesondere die Bereiche der Daseinsvorsorge der Logik der Profitmaximierung entzogen und in öffentliche und demokratische Verantwortung zurückgegeben bzw. überführt werden. Darunter fallen vorrangig das Gesundheitswesen, Bildung, Kultur und Mobilität. Das schafft die Voraussetzungen dafür, dass nicht mehr die Erzielung hoher Dividenden, sondern die Bedürfnisse der Menschen zum entscheidenden Kriterium werden.

Keinesfalls sollen noch mehr Arbeitsbereiche – wie bei Modellen "qualitativen Wachstums" im Dienstleistungssektor – in eine marktförmige Verwertungslogik gezwungen, sondern so viele Lebensbereiche wie möglich außerhalb dieser Logik organisiert werden.

Solidarische Ökonomie

Alternative Formen des solidarischen Zusammenlebens und gemeinsamen Wirtschaftens gilt es zu fördern, die darauf abzielen, mehr und mehr Lebensbereiche der Wachstumslogik zu entziehen und die Menschen dazu zu ermächtigen, ein gutes Leben möglichst jenseits der Kapitalverwertungszwänge zu führen: genossenschaftliche Übernahme von immer mehr Produktionsabläufen in die eigenen Hände, der Aufbau lokaler und regionaler Solidarstrukturen und Formen der Wirtschaftsdemokratie. Sie machen die Menschen unabhängiger und sind möglicherweise Keimzellen einer neuen, lebensfreundlichen Ökonomie, woraus sich bereits sehr konkrete Perspektiven für eine Postwachstumsökonomie und ein gutes Leben für alle ergeben.

Solidarische Lebensweise

Ein solcher Wandel ist weit mehr als technische Innovation, er braucht lebendige, verantwortungsvolle und solidarische Subjekte. Entscheidend für das Gelingen dieser gesellschaftlichen Transformation wird daher ein struktureller und kultureller Wandel sein, der eine Kultur des Genug und einen solidarischen Umgang mit deutlich weniger Energie, Rohstoffen und materiellen Gütern vorantreibt.

Wir sind uns dessen bewusst, dass wir unseren Kampf gegen die lebensbedrohende Wachstumsökonomie nur durchhalten werden, wenn wir uns gegenseitig dazu ermutigen, auch in unserem alltäglichen Leben mit dem Produktivismus, der imperialen Lebensweise und dem Konsumismus zu brechen.

Das Öl im Boden lassen – Forderung bei der Europäischen Netzwerk-Akademie in Freiburg