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Der blinde Fleck in der Rentendebatte

Der blinde Fleck in der Rentendebatte

Anlässlich der öffentlichen Sitzung des Ausschusses für Arbeits und Sozialordnung des Deutschen Bundestages zur Rentenreform gibt das bundesdeutsche ATTAC-Netzwerk folgende Stellungnahme ab:

Die geplante Rentenreform der Bundesregierung lässt grundlegende volkswirtschaftliche Gesetze außer acht und folgt allein der ideologischen Vorgabe der Demontage des Sozialstaates. Davon profitiert nur ein Teil der Bevölkerung: Diejenigen, die Vermögen erben oder in der seltenen Lage sind, sich ein solches zu erwerben. Die Regierungsvorschläge sind sozial, entwicklungs- und finanzmarktpolitisch verantwortungslos.

Die Debatte um die Zukunft der Altersicherung in der Bundesrepublik Deutschland weist einen erstaunlichen und zugleich vielsagenden blinden Fleck auf. Im Zentrum der Überlegungen der rot-grünen Bundesregierung steht die Idee, einen immer größeren Teil der zukünftigen Renten auf dem Kapitalmarkt zu erwirtschaften. Nicht geredet wird über die Grundlagen eines solchen Modells wie über seine Folgen. Die Entwicklung der Börsenkurse im zu Ende gehenden Jahr gibt einen klaren Hinweis darauf, was an den Finanzmärkten eher Normalität als Ausnahme ist: ein nicht vorhersagbares Auf und Ab. Wer das Einkommen alter Menschen diesen Unwägbarkeiten aussetzen will, handelt sozial verantwortungslos.

Der Grundfehler der Riesterschen Rentenkonstruktion besteht in der Gaukelei, eine Rente aus Kapitaleinkommen beruhe auf einem ganz anderen System als das der umlagefinanzierten Rente. Das ist falsch. Für jedes arbeitslose Einkommen muss an anderer Stelle auch gearbeitet werden. Der Einstieg in ein kapitalgedecktes Verfahren verändert nur den Schlüssel zur Verteilung arbeitsloser Einkommen. Wer viel sparen kann, kann sich später einen größeren Anteil am Kuchen sichern. Wer kein Geld anhäufen kann, geht leer aus. Zu den Illusionen, die Befürworter der kapitalgedeckten Rente streuen, gehört, dass eine breite Streuung der Investitionen das Risiko der Unwägbarkeiten der Kapitalmärkte vermindert. Das ist falsch. Kein Rentenfonds und keine Versicherung kann es sich leisten, gewinnbringende Geschäfte auszulassen. Das führt zu einem Herdenverhalten: In interessante Anlagemärkte strömt das Kapital, um sie beim allerersten Krisenzeichen abrupt und massenhaft wieder zu verlassen. Dies kann zur Implosion ganzer Volkswirtschaften führen, wie es in Asien geschah oder vorher in Mexiko. Dort mussten zwar auch – hierzulande oft unkritisch als Vorbilder genannte – US-amerikanische Pensionsfonds Milliardenverluste hinnehmen. Die wirklichen Opfer aber waren die Menschen in den vom Kapital plötzlich verlassenen Ländern: Millionen zahlten in Mexiko, Indonesien, Thailand, Argentinien mit dem Verlust ihrer Lebensgrundlage, mit Armut und Elend für ein irrationales Finanzsystem. Wer die Alterssicherung von Menschen in den Industrieländern auf dem Lebensrisiko der Menschen in armen und Schwellenländern aufbaut, handelt entwicklungspolitisch verantwortungslos.

Es ist ein Märchen, wenn behauptet wird, es gebe genügend Nachfrage nach Kapital auf den Finanzmärkten dieser Welt. In Wahrheit sind sie längst überdüngt. Alleine die Planungen der Bundesregierung für einen Anteil privater Altersvorsorge in Höhe von vier Prozent des Bruttolohnes ab 2008 würde ein jährliches Finanzvolumen von rund 70 Milliarden Mark bedeuten. Schon heute gibt es jedoch auf den Finanzmärkten ein ernsthaftes Mengenproblem: Immer mehr Kapital steht sehr wenigen sicheren und gewinnträchtigen Anlagemöglichkeiten gegenüber. Das führt zu immer riskanteren Investitionsentscheidungen. Wer das Mengenproblem derart verschärft, handelt finanzmarktpolitisch verantwortungslos.

Im bisherigen Umlageverfahren werden die Gelder der Beitragszahlerinnen und -zahler direkt an die Rentnerinnen und Rentner weitergeleitet. Sie fließen zum größten Teil unmittelbar in den Konsum und stabilisieren so die Kaufkraft. Konsumiert werden kann selbstredend nur, was sich aktuell auf dem Markt befindet. Und dort befindet sich nur, was in der laufenden Periode hergestellt worden ist. Daran ändert sich auch nichts, wenn die Rentenbeiträge in der Zeit zwischen Ansparung und Konsum für einige Jahrzehnte in Kapital verwandelt und auf den Finanzmärkten investiert werden. Wenn diese Anlagen dann alle Schwankungen und Krisen überstanden haben sollten, müssen sie wieder in Geld – in monatliche Rentenzahlungen - verwandelt werden, um aus dem dann produzierten Warenangebot Konsumbedürfnisse zu befriedigen. Wenn aufgrund der demografischen Entwicklung 2030 mehr Menschen Renten aus dem aufgebauten Kapitalstock beziehen als in diesen einbezahlen, führt dies absehbar zum Zerfall des Kapitalstocks und zu sinkenden RentenWer Einkommen dem Konsum vorenthält und in Kapital verwandelt, um es später wieder dem Konsum zuzuführen, beweist zwar eine ideologische Fixierung auf die Finanzmärkte, löst aber weder ein demografisches noch ein wirtschaftspolitisches Problem. Er verschiebt es lediglich auf einen späteren Zeitpunkt. Wer sich demografischen und volkswirtschaftlichen Tatsachen verweigert, entzieht sich der Verantwortung für die Zukunft.

ATTAC fordert die Bundesregierung auf, ihre Rentenpläne in der vorliegenden Form zurückzuziehen und in eine ernsthafte Debatte um die Reform der solidarischen Altersvorsorge einzutreten. Darin haben Privatisierung und Kapitaldeckung nichts verloren!

Stattdessen fordert ATTAC, dass die in Deutschland bislang mit Steuern und Abgaben nahezu unbelasteten Einkommen aus Unternehmensgewinnen und Vermögensanlagen in Höhe von 1000 Milliarden Mark zur Finanzierung der sozialen Sicherungssysteme herangezogen werden. Ein erster Schritt sollte die Einbeziehung sämtlicher Arbeitseinkommen in die gesetzliche Rentenversicherung sein. Damit können die Beiträge auf breiter Front sinken und für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer bleibt mehr Netto von ihrem Bruttolohn.

ATTAC fordert alle Bundestagsabgeordneten auf, sich bei der Abstimmung über die Reform des Rentensystems vom Fraktionszwang zu lösen und sich bei der Abstimmung nicht von ideologischen Gerede sondern nur von ihrem Wissen und Gewissen leiten zu lassen.