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Die Lunte am neoliberalen Pulverfass?

Erklärung von Mitgliedern der Wissenschaftlichen Beiräte von Attac Deutschland und Attac Frankreich zu Finanzkrise und Steuerfluchtskandal

veröffentlicht am 3. März 2008

Gerät das ganze globale Finanzsystem in Brand? Nach der Immobilienkrise in den USA, die in eine allgemeine Banken- und Finanzkrise überging, endeten die gigantischen Spekulationsgeschäfte der Société Générale in Frankreich, der IKB, der Sächsischen Landesbank und anderer deutscher Institute in einem Fiasko, das nicht nur Resultat mangelnder interner Kontrollen ist. Jetzt kommt noch der Skandal der Steueroasen hinzu.

Nun kommt heraus, was man angeblich nicht wusste: Hunderte von deutschen Top-Managern, Millionären und sogar Politiker haben via Liechtenstein Steuern in Höhe von mehreren Milliarden Euro hinterzogen. Einige Tage später erfahren wir, dass 200 französische Steuerpflichtige das gleiche Spiel getrieben haben. Inzwischen sind im Zusammenhang mit dem aktuellen Skandal etwa zehn Länder bekannt, die von Steuerflucht nach Liechtenstein und andere Steueroasen, darunter die Schweiz, betroffen sind.

Dabei hat es seit Jahren nicht an Warnungen gefehlt. 1989 hatte die G7 sogar beschlossen, eine Task Force zur Bekämpfung von Finanzkriminalität (GAFI) zu schaffen und die Steueroasen zu einem korrekteren Verhalten zu bringen. Aber nachdem die GAFI eine Liste der Länder erstellt hatte, die sich regelwidrig verhielten, wurde 2006 erklärt, es gäbe "kein Land und kein Territorium mehr, das nicht kooperiere." Die Europäische Union hatte Liechtenstein und andere Steueroasen überzeugt, eine Richtlinie von 2003 zu akzeptieren, die wahlweise eine Informationspflicht oder eine Quellensteuer für Kapitalbesitzer vorsah. Offensichtlich hat dies aber alles nichts genützt.

Wenn man weiß, dass es allein schon in Europa von Steueroasen nur so wimmelt und dass alle Banken Niederlassungen dort unterhalten, dann wird deutlich, dass diese Territorien keineswegs eine Anomalie sind, sondern ein wesentlicher Bestandteil des neoliberalen Finanzsystems. Steueroasen sind auch der bevorzugte Standort jener Akteure, die die Verbriefung der US-Hypothekenkredite betrieben haben, die dann zur Subprime-Krise führte.

Seit der Liberalisierung des Kapitalverkehrs innerhalb der EU und weltweit wurde das internationale Finanzsystem gründlich zu Gunsten der Kapitalrenditen reorganisiert. Sowohl die einzelnen Unternehmen wie auch die Märkte insgesamt wurden davon erfasst. Die Spekulation auf Wertpapiere, Derivate und Devisen wurde zur Dauererscheinung. Alles dreht sich nur noch darum, Höchstrenditen für die Shareholder zu erzielen. Da kann es nicht überraschen, wenn die Nutznießer traumhafter Einkünfte auch noch versuchen, sich vor der Zahlung ihrer Steuern zu drücken.

Es ist diese Geisteshaltung im Banne des realen Neo-Liberalismus - eine neue Mentalität -, es ist diese Gier nach Höchstprofiten, die nach 20 Jahren Neoliberalismus die kriminelle Energie zur Steuerhinterziehung erzeugt. Die starke Zunahme der Ungleichheit fördert die Arroganz und den völligen Mangel an Unrechtsbewusstsein bei den herrschenden Eliten und führt schließlich dazu, dass alle Grenzen ignoriert werden. Da es keinerlei Hindernis für den freien Fluss des Kapitals gibt, kann dieses nach Belieben Unternehmen restrukturieren und Standorte verlagern. Da es keine Grenzen der Ungleichheit mehr gibt, wären die Ritter der Rendite ja auch dumm, wenn sie noch Skrupel hätten!

Jetzt kommt der große Katzenjammer. Die Bundesregierung beklagt die Intransparenz bei Steueroasen und das Bankgeheimnis. In Frankreich kritisiert der Staatspräsident die Exzesse der Finanzindustrie. Aber die Grundlagen des Finanzkapitalismus stellen sie nicht in Frage. Im Gegenteil, die EU ist geradezu auf dem sakrosankten Prinzip des schrankenlosen Kapitalverkehrs gebaut. Der Vertrag von Lissabon hat dies noch einmal bekräftigt.

Was tun?

  • Zuallererst sind die Steueroasen, die Teil der EU sind, unter Androhung von Sanktionen schlicht und einfach zu schließen - und zwar sofort.
     
  • Notwendig ist zudem die Aufhebung des Bankgeheimnisses und die öffentliche Kontrolle des Zahlungsverkehrs, um Einblick in die Kapitalflüsse in die und aus den Steueroasen zu gewinnen und sie entsprechend kontrollieren zu können. Nur so bekommt eine Besteuerung der Transaktionen Sinn.
     
  • Diese Neuregelung muss mit einer Steuerharmonisierung in der EU einhergehen, die die Einkünfte aller natürlichen Personen und die Unternehmensgewinne umfasst. Entweder akzeptiert die EU eine kooperative Strategie, oder sie lässt Steuerdumping zu. Dies würde sie allerdings völlig unglaubwürdig machen.
     
  • Schließlich ist eine grundlegende Reorganisierung des globalen Geld- und Finanzsystems unumgänglich. Dazu sind weltweite Kapitalverkehrskontrollen notwendige Voraussetzung, um zu verhindern, dass eine Krise die andere jagt.
     
  • Die Zentralbanken müssen demokratische Entscheidungen respektieren und wieder zu öffentlichen Institutionen werden, die das Geld im Interesse der Mehrheit verwalten.#
     
  • Zudem ist es an der Zeit, eine globale Steuerharmonisierung unter der Ägide der UNO in Angriff zu nehmen.

Die neoliberale Politik führt nicht nur zu Betrügerei, sondern stellt auch die sozialen Sicherungssysteme in Frage: Was wird aus den sozialen Netzen wenn die Finanzindustrie sich ihrer bemächtigt? Die Zeit drängt. Schon zu lange erleben wir die Dominanz des Neoliberalismus. Man muss die Steueroasen austrocknen, die Finanzmärkte entwaffnen und eine Welt schaffen, die auf Solidarität beruht - im Rahmen des Nationalstaates und international.

UnterzeichnerInnen:

Prof. Elmar Altvater, Wirtschaftswissenschaftler, FU Berlin
Prof. Adelheid Biesecker, Wirtschaftswissenschaftlerin, Universität Bremen
Dr. Martin Büscher, Wirtschaftswissenschaftler, Studienleiter Evangelische Akademie Villigst, Dozent an der Universität St. Gallen
Jacques Cossart, Wirtschaftswissenschaftler, ehemaliger Mitarbeiter der Weltbank
Prof. Gérard Duménil, Wirtschaftswissenschaftler, Forschungsdirektor am Centre National de Recherche Scientifique
Prof. Jean-Marie Harribey, Wirtschaftswissenschaftler, Universität Bordeaux
Prof. Jörg Huffschmid, Wirtschaftswissenschaftler, Universität Bremen
Prof. Hans-Jürgen Krysmanski, Soziologe, Universität Münster
Prof. Dominique Plihon, Wirtschaftswissenschaftler, Universität Paris XIII

 

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