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Finanzmarkt: Auch gestreutes Risiko bleibt riskant

Anatomie und Eskalation der Subprime-Krise


Von Christoph Scherrer
(Mitglied des wissenschaftlichen Beirats von Attac)


Finanzkrisen gehören so langsam zum Alltag wie konjunkturelle Abkühlungen. Die jüngste Krise, die sog. Subprime-Krise, reiht sich in eine lange Liste von fehlgeschlagenen Spekulationen seit der Lockerung von Bankenaufsicht und Kapitalverkehrskontrollen in den 1970er Jahren ein: die Schuldenkrise Lateinamerikas (1982), die US-amerikanische Sparkassenkrise (1986), die japanische Bankenkrise (1992), die mexikanische Peso-Krise (1994), die Asienkrise (1997), die Argentinienkrise (2000), die Technologiewertekrise (2000).

Der Eindruck entsteht, als ob die Akteure der Finanzmärkte nicht dazu lernen könnten. Der Eindruck täuscht, sie lernen ständig dazu, was sich in den ständigen „Finanzinnovationen“ zeigt. Nur die Psyche scheint nicht mithalten zu können, sie fällt immer wieder auf die durch ihre eigene Erwartungshaltung erzeugten Trends herein, sei es der vermeintliche Siegeszug der New Economy oder die stetig steigenden Grundstückspreise.

Da sich die Krisenursachen immer wieder ähneln, will ich nur kurz auf die besondere Form dieser neuesten Krise eingehen. Vornehmlich will ich den interessanteren Fragen nachgehen: Welcher Schaden ist entstanden? Wer soll dafür aufkommen? Und wie kann ein Wachstumseinbruch verhindert werden?

Vorweg – ich werde nicht Kassandra spielen. Einen Zusammenbruch der Weltwirtschaft halte ich für wenig wahrscheinlich. Die vorausgesagten Verluste bis in Höhe von 400 Mrd. US-Dollar sind beachtlich, doch im Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukt der USA stellen sie gerade 3% dar, ein vergleichbarer Anteil wie damals die Sparkassenkrise, und nicht einmal halb so umfangreich wie die japanische Bankenkrise, allerdings gemessen am dortigen Bruttoinlandsprodukt. Beide Krisen zeitigten erhebliche Folgen für die betroffenen Wirtschaften (und deren Handelspartner), doch stellten sie nicht die Systemfrage.

Der Krisenauslöser: Die „Subprime“- Hypotheken

Der Begriff „subprime“ ist selbst für die USA neu. Bis vor ca. zehn Jahren hießen Kredite an Personen, die als nur eingeschränkt kreditwürdig galten, „belowprime“. Gehörte man zu dieser Gruppe unterhalb der guten, d.h. sicher zurückzahlenden Kunden, dann gab es keine Kredite von regulären Banken. Im Falle von Hypotheken galt diese Regel sogar für ganze Stadtteile, die auf den Stadtplänen der Banken rot umrandet wurden („redlining“) und deren Bewohner keine Hypotheken auf ihre Häuser aufnehmen konnten. Neu benannt als Subprime- Kreditnehmer, standen ihnen in den letzten Jahren plötzlich Hypotheken zu – zunächst – sehr günstigen Konditionen zur Verfügung. So erreichte der „amerikanische“ Traum vom Häusle auch Menschen mit bescheidenen Einkommen und geringer Arbeitsplatzsicherheit.

Wie kam es zu diesem Paradigmenwechsel? Zwei Stichworte genügen: Portfolio und Verbriefung. Wie im Falle der Schrottanleihen von Unternehmen (Junk Bonds) in den 1980er Jahren entdeckten clevere Finanzanalysten, dass insgesamt das Ausfallrisiko von Hypotheken geringer Bonität nicht besonders hoch ist. Bündelt man entsprechend viele solcher Hypotheken, dann verteilt sich das Risiko, es wird zu einer statistischen Größe, die zudem von den Kreditnehmern als Risikoaufschlag abverlangt werden kann. Werden in dieses Bündel noch Hypotheken mit guter Bonität gelegt, dann sinkt das Risiko für das gesamte Bündel noch weiter (Portfolio- Strategie). Für eine Bank mindert sich das Risiko zusätzlich, wenn sie dieses Bündel nicht im eigenen Tresor behält, sondern dieses einer eigens dafür gegründeten Zweckgesellschaft überträgt, die auf diese Bündel in gestückelter Form Anleihen begibt („verbrieft“). Für die Käufer der Anleihen ist dann nämlich das Risiko noch geringer, denn wenn sie nur einen Teil des ursprünglichen Bündels erwerben, können sie es mit anderen Finanzmarktprodukten in ihrem eigenen Portfolio vermischen. Mithin wird das Risiko gestreut und entsprechend können die Ausleihestandards gelockert, größere Risiken eingegangen werden.

Die Nachfrage für diese Finanzinnovation erhielt in den letzten Jahren aus mehreren Richtungen einen gewaltigen Schub. Zum einen suchten die vom New-Economy- Boom gebrannten Investoren nach neuen Anlagemöglichkeiten. Hypotheken sahen gegenüber High-Tech-Aktien sicher aus, zumal Grundstückspreise seit Jahrzehnten in den meisten Regionen der USA nur eine Richtung kannten, nämlich nach oben. Zum anderen senkte die US-Notenbank zur Abwendung einer Rezession im Gefolge des Zusammenbruchs der New Economy die Leitzinsen zwischenzeitlich sogar auf ein Prozent. Dies erlaubte nicht nur den erwähnten Subprime-Schuldnern Hypothekenkredite aufzunehmen, sondern insbesondere den besser verdienenden Haushal- ten, womit ein regelrechter Hausbauboom entfacht wurde. Die mit dem Boom einhergehenden steigenden Immobilienpreise minderten wiederum das Risiko des Kreditausfalls, denn sollte den Kreditnehmern plötzlich was passieren, so konnte das beliehene Haus verkauft werden und bei steigenden Preisen sogar mit Gewinn. Dies erlaubte die weitere Lockerung der Ausleihstandards, angetrieben von der Konkurrenz unter den Banken und Hypothekenvermittler.

Wie immer am Ende eines Booms kam noch kriminelle Energie hinzu. Subprime-Kreditnehmer wurden mit niedrigen Anfangszinsen gelockt und bewusst über die späteren Zinsaufschläge getäuscht. 2005 und 2006 sollen US-Finanzdienstleister 3.200 Mrd. Dollar an Hypothekendarlehen ausgegeben haben -rund 20% an Kunden geringer Bonität.

Der Kriseneinbruch kam keinesfalls überraschend. Namhafte Ökonomen wie Paul Krugman, Robert Shiller oder auch das Vorstandsmitglied der US-Notenbank Edward Gramlich haben vielfach gewarnt. Doch selbst nach ersten deutlichen Krisenzeichen erhöhte sich noch der Verkauf von Subprime-Hypotheken. Besonders in die Kritik kam der legendäre Notenbankchef Alan Greenspan, der 2004 das Entstehen einer Immobilienblase abstritt. Allerdings, hätte Greenspan im Wahljahr 2004 die Blase anerkannt, dann hätte dies wohl aufgrund seiner Reputation den Boom vorzeitigt abgebrochen und damit auch die Wiederwahlchancen seines Parteifreundes Bush vermindert. Entsprechend lax fiel auch die Aufsicht über das Hypothekengeschäft aus, zumal die Innovationen auf den Finanzmärkten so komplex wurden, dass die Aufsichtsbehörden praktisch auf eigene Risikoanalysen verzichtet haben (zumal sie aufgrund des Lohnniveaus im öffentlichen Dienst die entsprechenden Experten nicht halten konnten) und stattdessen den Analysen der Risikonehmer vertrauten.

Der Kriseneinbruch kam, als die Verlangsamung der Immobilienpreiserhöhungen und steigende Zinsen dazu führten, dass die Zahl ernster Zahlungsversäumnisse kräftig anstieg. In der Folge geriet mancher Fonds selbst in Zahlungsschwierigkeiten.

Gestreutes Risiko – zerstreutes Vertrauen

Die Risikostreuung funktionierte. Die Hypothekenausfälle trafen nicht die Banken, sondern die Käufer der Fondsanleihen. Allerdings waren manche Banken selbst als Käufer dieser Anleihen aufgetreten, haben nicht alle Subprime-Hypotheken an die Zweckgesellschaften weitergereicht, hatten gegenüber diesen Zweckgesellschaften Garantien ausgestellt oder haben aus Reputationsgründen Rücknahmegarantien ausgesprochen. Entsprechend trafen Verluste auch Banken.

Das eigentliche volkswirtschaftliche Problem war allerdings nicht vorhergesehen worden, nämlich eine spürbare Zurückhaltung der Banken, sich gegenseitig Geld zu leihen. Damit erhöhte sich der Zinssatz für Kredite selbst für sog. gute Kreditrisiken, wodurch die Krise des Hypothekenwesens auch Bereiche der Volkswirtschaft jenseits des Bauwesens erreichte. Im Nachhinein wurde deutlich, dass mit der teilweisen Verlagerung von Risiken zu Nichtbanken Transparenz verloren ging. Die Banken können untereinander nicht einschätzen, welche tatsächlichen Risken eingegangen wurden und halten sich entsprechend bei der Kreditvergabe untereinander zurück. Dieses Misstrauen wurde durch unerwartete Milliardenverlusten bei solch renommierten Investmentbankhäusern wie Bear Stearns im Sommer 2007 genährt. In Folge wird die Liquidität im Finanzsystem empfindlich einschränkt.

Allerdings wurden nicht alle Banken Opfer dieser Risikostreuungsstrategie. Laut dem Kolumnisten Ben Stein der New York Times hat sich beispielsweise das Bankhaus Goldmann Sachs gegen Kursverluste der von ihm angepriesenen Hypothekenanleihen dadurch gesichert, dass es gleichzeitig Spekulationsgeschäfte für erwartete Kursverluste abgeschlossen hatte. Dafür erhielt der Goldman-Chef Lloyd Blankfein den höchsten je an der Wallstreet gezahlten Jahresbonus von knapp 68 Mio. US-Dollar. Ein anderer Hedge-Fonds, Paulson, der ebenfalls auf sinkende Preise für Hypothekenanleihen gesetzt hatte, soll laut Handelsblatt an der Subprime-Krise rund 12 Mrd. Dollar verdient haben.

 

Abschreibungen in Folge der Kreditkrise
Kreditinstitut/UnternehmenAbschreibung in Euro
USB – Schweiz6,8 Milliarden
Merrill Lynch5,7 Milliarden
Citigroup5,7 Milliarden
Deutsche Bank2,2 Milliarden
JP Morgan Chase1,1 Milliarden
Goldman Sachs1,0 Milliarden
Landesbank Baden-Württemberg (LBBW)800 Millionen
Swiss Re734 Millionen
Morgan Stanley639 Millionen
Dresdner Bank575 Millionen
WestLB355 Millionen
SachsenLB351 Millionen
Commerzbank291 Millionen
Postbank61 Millionen
Quelle: Spiegel Online v. 10.12.2007

 

Nun rätseln die Experten über das „wahre“ Ausmaß der Krise. Dies zu ermitteln grenzt an Spekulation, da es vom zukünftigen Verhalten der Marktteilnehmer abhängt, wie viele Immobilien notverkauft werden müssen, wie rasch dadurch die Immobilienpreise sinken (-4,5 % im Oktober 2007 gegenüber Vorjahr), und ob diese Wertverluste auch zu Notverkäufen von anderen Vermögenswerten führen, die dann weitere Märkte in Mitleidenschaft ziehen. Im Vergleich zur High-Tech-Blase von 2000 handelt es sich bei der Baubranche um einen deutlich kleineren Teil der Wirtschaft. Entsprechend liegt das Hauptaugenmerk auf dem Verhalten der KonsumentInnen. Da die steigenden Immobilienpreise die Aufnahme von Hypotheken auch für andere langlebige Konsumgüter erhöht hatten, wird im Umkehrschluss vermutet, dass die KonsumentInnen bei fallenden Immobilienpreisen, steigenden Hypothekenzinsenund drastischen Ölpreiserhöhungen ihren Konsum einschränken werden. Erste Anzeichen sind erkennbar, Politik und Notenbanken versuchen gegenzusteuern.

Krisenmanagement: Finanzakteure genießen Priorität

Das Krisenmanagement fokussiert auf den Erhalt des Finanzsystems und die Vermeidung einer Rezession. Es belässt dabei den Finanzakteuren weitgehend ihre Spielräume (mit Ausnahme strafrechtlicher Untersuchungen) und schenkt den eigentlichen Opfern der Krise, den Menschen die, ihre Häuser verlieren, noch wenig Aufmerksamkeit.

Die US-Notenbank, die US-amerikanische Federal Reserve (Fed), senkte die Leitzinsen bewusst in Reaktion auf die Krise zweimal im Laufe 2007. Die Zinsentlastung insbesondere der KonsumentInnen soll die Konjunktur am Laufen halten. Diese Politik birgt Inflationsgefahren, was die Europäische Zentralbank davon Abstand halten ließ (s.unten).

Zusätzlich senkte die Fed ihre eigenen Ausleihstandards an Banken, um diese mit ausreichend Liquidität zu versorgen und damit zahlungsfähig zu halten. Die Banken werden somit für ihr riskantes Verhalten nicht bestraft. Die Kurse der Aktienmärkte zeigen nach jeder Liquiditätsspritze nach oben. Wer trägt die Kosten dieser Liquiditätsspritzen? Seit dem 12. Dezember 2007 erlaubt die Fed auch Hypothekenanleihen als Sicherheiten. Somit kommt die Fed eventuell selbst für Ausfälle auf. Wissend, dass die Notenbank im Notfall bereitsteht, könnten sich die Finanzakteure zudem in der Zukunft noch riskanter verhalten („moral hazard“).

Gerade vor dem Hintergrund der Moral-Hazard-Debatte bemüht sich das US- Finanzministerium, die Banken stärker in die Verantwortung zu nehmen. Es drängt diese, einen Rettungsfonds zu finanzieren, der herunter gestufte Anleihen aufkaufen und so die Banken von ihren Risiken befreien soll. Ziel ist die Verhinderung eines ruinösen Schnellverkaufs der beliehenen Sicherheiten, der die Marktpreise noch mehr herunter zieht. Die Banken zögern bislang jedoch, da aufgrund der bestehenden Intransparenz der Risikoverteilung unklar bleibt, wie die Last zwischen ihnen verteilt werden soll. Zudem befürchten sie, dass das von ihnen dem Fonds zur Verfügung gestellte Geld aufgezehrt wird.

Stattdessen versuchen einige größere Ban- ken im Alleingang ihre Bonität wiederherzustellen, und zwar durch große Verlustabschreibungen, die durch Aufnahme neuer Aktionäre kapitalmäßig ausgeglichen werden. Die neuen Aktionäre, die bis zu 10% des Aktienkapitals der Banken erworben haben, sind vor allem Fonds in der Hand nicht bzw. beschränkt demokratischer Staaten wie China, Singapur und Abu Dhabi. Ob diese sich dadurch zu „Schnäppchenpreisen“ in die Zitadellen des westlichen Kapitalismus eingeschlichen haben, oder umgekehrt an den Kosten der Krise beteiligt werden, wird sich erst in Zukunft herausstellen. Noch ist ein Ende der Krisenausweitung nicht in Sicht. Mittlerweile wird befürchtet, dass Versicherungen über die Kreditausfallversicherungen von der Krise betroffen werden könnten. Dies könnte sich auf die Banken wiederum negativ auswirken.

Mangelnde Aufsicht vor allem der Hypothekenmakler trug wesentlich zur Ausweitung der Subprime-Krise bei. Doch trotz Paul Krugmans Skandalierung dieses Missstandes als „Marktexperiment am lebenden Körper“ sind konkrete Regulierungsmaßnahmen noch nicht erkennbar. Schließlich könnte die Ausweitung der Krise durch Hilfeleistungen an die überschuldeten Hausbesitzer verhindert werden. Allein im Oktober 2007 wurden über 200.000 Zwangsversteigerungsverfahren eingeleitet. Subprime-Hypotheken wurden fünfmal mehr in schwarzen als in weißen Wohngegenden verkauft – entsprechend überproportional sind schwarze HausbesitzerInnen gefährdet. Neben den emotionalen Kosten entstehen finanzielle Belastungen. Laut einer Studie für den US- Kongress werden die Betroffenen im Durchschnitt mit 7.200 Dollar, die Hypothekenbanken mit 50.000 Dollar, und die Gemeinden mit 19.227 Dollar belastet. Demgegenüber sollen Maßnahmen zur Verhinderung der Zwangsversteigerung, wie z.B. Zinskappungen, nur ungefähr 3.300 Dollar pro Haushalt kosten.

Da Schwarze zwar überproportional, aber nicht allein von dem Verlust ihrer Häuser bedroht sind, ist der Schutz der säumigen Hypothekenschuldner Wahlkampfthema geworden. Präsidentschaftskandidatin Hillary Clinton fordert bspw. ein 90-Tage- Moratorium für Zwangsversteigerungen und eines von fünf Jahren auf Zinssätze. Die Bush-Regierung antwortete mit einem ähnlichen Programm, das aber lediglich eine Festschreibung der Zinssätze unter sehr restriktiven Bedingungen vorsieht. Bereits säumig gewordene Hypothekennehmer bleiben ausgeschlossen.

Risiko gestreut – weiter als gedacht

Die Krise zeigte sich auch an solch unwahrscheinlichen Orten wie Narvik in Norwegen und Düsseldorf, dem Sitz der staatseigenen IKB Deutsche Industriebank. Die guten Renditen der Subprime- Hypotheken lockten die Bürgermeisterin des hoch im Norden liegenden Städtchens genauso wie die Vorstände der IBK. Resistent gegenüber den Lehren vergangener Fehlspekulationen (z.B. der hessischen Landesbank HELABA in den 1970er Jahren) und im Widerspruch zu ihren eigentlichen Aufgaben, erlag manche öffentliche Bank Deutschlands den Verlockungen des schnellen Geldes. Im Falle der SachsenLB haftet nun der sächsische Landeshaushalt in Höhe eines Sechtels seines Gesamtumfangs. So werden nicht nur Steuergelder aufs Spiel gesetzt, sondern auch die Idee eines öffentlichen, demokratischer Kontrolle ausgesetzten Bankensektors desavouiert, der gerade zu den krisenhaften Marktspekulationen eine Alternative darstellen könnte.

Dass es diese unvermuteten Institutionen traf, beweist den Erfolg der Risikostreuung. Es bestätigt aber auch die alte Börsenwahrheit, dass man selbst verkaufen sollte, wenn der eigene Butler anfängt, Aktien zu kaufen. Der hohe Anteil europäischer Banken ist mit dieser Weisheit gut zu erklären: Die Europäer kamen auf dem US-Markt später an, kannten sich schlechter aus und mussten die höheren Risiken eingehen, um Marktanteile zu gewinnen.

Die hohen Verluste an unvermuteten Orten schürten das Misstrauen der Banken untereinander, mit der Folge eines ungewöhnlich starken Anstiegs der Risikoaufschläge am Interbankenmarkt. Für Deutschlands Finanzstabilität sah der Vizepräsident der Bundesbank, Franz-Christoph Zeitler, En- de November 2007 bei der Präsentation des Finanzstabilitätsberichts 2007 allerdings nur geringe Gefahren, denn „weite Teile des deutschen Bankensystems sind aufgrund ihrer Geschäftsstruktur von den Finanzmarktturbulenzen wenig bis gar nicht betroffen“. Selbst eine Kombination aus steigenden Finanzierungskosten, höherer Wechselkurse und eines Konjunkturabschwungs in den USA begründe „bei plausibler Kalibrierung der Schocks kein Rezessionsszenario in Deutschland“. Kurz nach diesen pflichtgemäßen Beschwichtigungen beteiligte sich jedoch die Europäische Zentralbank (EZB) an der erwähnten Liquiditätsspritze der Fed vom 12. Dezember in einer konzertierten Aktion mit anderen Notenbanken, der ersten gemeinsamen Aktion seit der Reaktion auf die Al-Kaida- Anschläge auf New York und Washington. Ein deutliches Zeichen, wie ernst der Vertrauensverlust an den Finanzmärkten genommen wird.

Die EZB zog aber bisher nicht bei Leitzinssenkungen mit. Dadurch wird sich der Wertverfall des US-Dollars fortsetzen, zumal höhere Zinsen vor den Präsidentschaftswahlen im November 2008 unwahrscheinlich sind. Der fallende Dollar passt zu den Handelsbilanzdefiziten und externalisiert vor allem die Kosten der Subprime- Krise. Die Kreditgeber der USA, allen voran die Wirtschaftssubjekte der Überschussländer China, Japan und Deutschland müssen Wertverluste, gemessen an Anlagen in anderen Währungen, hinnehmen. Werden sie dies auf Dauer akzeptieren? Wie wahrscheinlich ist es, dass der US-Dollar seinen Weltgeldstatus verliert und die USA sich nicht mehr in der eigenen Währung verschulden können? Trotz Konkurrenz durch den Euro ist es unwahrscheinlich, dass die chinesische Zentralbank ihr Fremdwährungsdepot zugunsten des Euro umschichtet. Sie würde zum einen die Talfahrt des US-Dollars beschleunigen und dabei die bei ihr noch vorhandenen Dollar-Reserven entwerten. Zum anderen würde sie sich mit dem wichtigsten Absatzmarkt für chinesische Güter anlegen.

Insgesamt ist das Krisenmanagement noch lange nicht am Ende seiner Möglichkeiten. Ein Skandal bleibt, dass die Krisenauslöser aus Systemerhaltsgründen geschont werden. Es ist an der Zeit, diese stärker zur Rechenschaft zu ziehen, die Möglichkeiten zur Spekulation einzudämmen, ihre Gewinne für die gesellschaftlichen Risiken ihres Tuns stärker zu besteuern und öffentliche Mittel für die säumigen Schuldner bereitzustellen, um an dieser Stelle den weiteren Wertverlust von Immobilien zu stoppen.

Prof. Christoph Scherrer ist Hochschullehrer für Globalisierung und Politik an der Universität Kassel, Mitglied des wissenschaftlichen Beirats von Attac und Mitherausgeber des Informationsbriefes Weltwirtschaft und Entwicklung (W&E)
 

Hinweise

  • Fender, Ingo/Peter Hördahl, 2007: Overview: markets hit by renewed credit woes, in: BIS Quarterly Review, December, Bank for International Settlements: Basel, 1-17.
  • Michaud, François-Louis/William Nelson, 2007: Central bank actions in response to the turmoil in money markets, BIS Quarterly Review, December, Bank for International Settlements: Basel, 12-13.
  • US Congress, Economic Committee, 2007: Sheltering Neighborhoods from the Subprime Foreclosure Storm, Senator Charles E. Schumer (D-NY) – Chairman, 11 April.

Empfohlene Zitierweise: Christoph Scherrer, Finanzmarkt: Auch gestreutes Risiko bleibt riskant. Anatomie und Eskalation der Subprime-Krise, in: Informationsbrief Weltwirtschaft & Entwicklung, W&E-Hintergrund Januar 2008 (www.weltwirtschaft- und-entwicklung.org)