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Norden in Katerstimmung - Süden abgekoppelt?

Ein Jahr nach Ausbruch der globalen Finanzkrise


Während die jüngste Finanzkrise den Norden voll erwischt hat, die damit einher gehenden Verluste inzwischen auf rund 2 Billionen US-Dollar beziffert werden und praktisch alle G7-Ökonomien entweder in der Rezession oder auf dem Weg dahin sind, scheinen die Konsequenzen im Süden weniger schwer zu sein. Zwar prognostizieren Experten auch dort eine baldige Verlangsamung des Wachstums. Doch die Lage ist differenzierter. Das bezeugen Berichte aus vier südlichen Metropolen, die Rainer Falk zusammengestellt hat.

Als Mizuho Financial zugab, mehr als 6 Mrd. Dollar an Investitionen auf dem US-Immobilienmarkt verloren zu haben, wurde der japanischen Bank der Titel des größten Subprime-Verlierers Asiens verliehen, berichtet der Korrespondent von BBC World in Singapur, Matthew Heavens. Doch im Vergleich zu den mehr als 40 Mrd. Dollar, die die Citigroup abschreiben musste, und den jeweils 30 Mrd. Dollar, die Merril Lynch und die UBS verloren haben, sehen Asiens vorsichtige Banker ziemlich ungeschoren aus.

Neue Weltordnungssicht in Ostasien

In der Tat – aus dem Blickwinkel der Finanzwelt könnte man sagen, dass die Kreditkrise die alte Ordnung zugunsten Asiens verändert hat. Die purzelnden Kurse an der Wall Street bedeuten, dass – gemessen am Marktwert – die beiden Top-Banken der Welt (und drei der sechs größten) jetzt chinesisch sind. Die beiden Investitionsfonds aus Singapur, Temasek und GIC, haben die Unruhe genutzt, um massive Investitionen im westlichen Bankensektor vorzunehmen. Sie sind jetzt die größten Aktienhalter bei Merril Lynch und UBS. Sie sitzen zugleich auf starken Wertverlusten, da die Kurse weiter fallen. Doch aus ihrer Sicht war es eine einzigartige Gelegenheit, um einen Fuß in die Wall Street zu bekommen.

Und während die nördliche Finanzwelt derzeit auf die einjährige Wiederkehr des Credit Crunch blickt, wird der andere Jahrestag vom Vorjahr, als sich die asiatische Finanzkrise zum zehnten Mal jährte, leicht übersehen. Ironisch wird in diesem Teil der Welt vermerkt, dass asiatisches Geld westliche Banken herausgehauen hat.

Die wesentlich größere Angst überkommt viele Asiaten angesichts der realökonomischen Folgen der Kreditkrise. Die wichtigsten Käufer für vieles, was von asiatischen Industrien produziert wird, sind immer noch die Konsumenten in den USA. Japanische Exportgiganten wie Sony und Nissan spüren bereits, wie die Amerikaner den Gürtel enger schnallen. Und mit der Schwäche des US-Dollars werden viele japanische Produkte nur noch unerschwinglicher.

 

Ausbreitung der Rezession von Norden her

Inzwischen ist klar, das alle G7-Ökonomien auf dem Weg in eine Rezession sind; die USA befinden sich in einer Rezession; Großbritannien steuert mit der Flaute seines Immobilienmarktes darauf zu; Japan ist gerade dabei, in eine Rezession einzutreten, wie jetzt auch von der Regierung eingestanden wird; die italienische Wirtschaft weist komatische Züge auf und steht am Rand einer Rezession; Kanada hatte ein Negativwachstum im 1. Quartal 2008 und ist wirtschaftlich stark mit den USA verflochten; Deutschland und Frankreich (ebenso wie Irland, Spanien und Portugal, aber auch der Rest der Eurozone) sind auf dem Weg zur Rezession. So sind derzeit praktisch alle G7-Ökonomien in der Rezession oder auf dem Weg dahin. Hinzu kommen die restliche Eurozone und die Rezession in Ländern wie Estland und Lettland und das Risiko einer harten Landung in Südosteuropa (Bulgarien, Rumänien, Ungarn und die Türkei).

Diese generalisierte Rezession in den fortgeschrittenen Volkwirtschaften wird auch in den BRIC-Ländern (Brasilien, Russland, Indien und China) bald zu einer scharfen Verlangsamung des Wachstums führen, was in den Statistiken und einem signifikanten Wachstumsrückgang in den restlichen aufstrebenden Märkten bereits erkennbar ist. Ein stark verlangsamtes globales Wachstum, beginnend mit der G7-Rezession, fallende Rohstoffpreise, eine steigende Investitionszurückhaltung globaler Investoren, fallende Aktienmärkte in den aufstrebenden Märkten (EM), die Schwäche des US-Dollars und die Stärke der EM-Währungen, ein Anziehen der Geldpolitik in den EM, um die Inflation zu kontrollieren, die Auswirkungen der globalen Liquiditäts- und Kreditkrise, das Risiko eines plötzlichen Stopps oder einer Umkehr der Kapitalflüsse in die EM mit großen Zahlungsbilanzdefiziten - all das sind Faktoren, die zu einem scharfen Wachstumsrückgang in den EM führen werden und einher gehen mit einem Abwärtsdruck auf ihren Aktien- und Finanzmärkten. Während die Welt - technisch gesehen - um eine globale Rezession (vom IWF als globales Wachstum unter 2,5%) herumkommen wird, so wird sie ihr doch sehr nahe kommen, mit einer Verlangsamung des globalen Wachstums auf fast rezessive 3% bis Mitte 2009.

Nouriel Roubini, RGE Monitor

 

In den „Werkstätten der Welt“, dem industriellen Kernland in Südchina, spüren sie ebenfalls – durch Fabrikschließungen und Entlassungen – die Konsequenzen der sich abschwächenden globalen Nachfrage. Doch nicht alle Exportgeschäfte sind in Panik. Die südkoreanischen Exporte beispielsweise weisen das stärkste Wachstum der letzten vier Jahre auf. Unternehmen wie Samsung und Hyundai hatten stets schwache Positionen auf den Märkten ihrer japanischen Erzrivalen. Doch sie waren in der Lage, neue Kunden auf den aufstrebenden Märkten Lateinamerika, des Nahen und Mittleren Ostens und Chinas zu finden. Nach einer Schätzung expandiert der Umsatz des Einzelhandels in China um 20% pro Jahr. Vielleicht ist das der wichtigste Effekt der Kreditkrise: Sie unterstreicht, wie sich die Gestalt der Weltwirtschaft verändert.

Indien: Zunehmender Inflationsdruck

In Indien hat das laufende Jahre damit begonnen, dass die Experten darüber redeten, wie sich das Land von den globalen Märkten abgekoppelt habe. Doch jetzt – ein halbes Jahr später – ist klar, das die Probleme komplizierter sind, berichtet Shilpa Kannan für BBC World aus Delhi. Das Land hatte dieses Jahr drei Hauptsorgen: die Konsequenzen des globalen Kreditkrise, die hohen Ölpreise und die steigenden Inflationsraten.

Die Inflation ist jetzt in Indien so hoch wie seit 13 Jahren nicht mehr, angetrieben im Wesentlichen durch die explodierenden Preise für Nahrungsmittel und Brennstoffe. Die Zentralbank hat aggressiv die Zinssätze erhöht, um die steigende Inflation unter Kontrolle zu bekommen. Während einige Analysten das begrüßen, denken andere, dass höhere Zinsen zu einer weiteren Verlangsamung des Wirtschaftswachstums führen könnten.
Die Zentralbank hat ebenfalls wiederholt die Vorschriften für die Reservehaltung verschärft (das Ausmaß, in dem Banken Barmittel halten müssen), um die Kreditvergabe zu entmutigen. Doch die Industriellen klagen bereits, dass ihre Profite durch die steigenden Rohstoffpreise und die Zurückhaltung der Konsumenten zurückgegangen sind.

Auch für die Finanzmärkte war 2008 bislang ein turbulentes Jahr. Der Aktienindex Sensex an der Stock Exchange von Bombay ist um 5000 Punkte gefallen und jetzt wieder auf dem Niveau des letzten Jahres. Viele globale Banken, wie HDBC, GE Money oder Standard Chartered, wenden sich den aufstrebenden Märkten zu, um ihre globalen Verluste zu kompensieren. Viele Experten meinen, dass die Qualität der Kredite in Indien viel besser ist. Doch die globale Kreditkrise hat die Banken auch dort vorsichtiger werden lassen, vor allem bei Konsumentenkrediten. Das trifft wahrscheinlich viele Inder, vor allem diejenigen, die sich ein neues Auto oder eine Wohnung kaufen wollen.

Öffentlichen Unmut gibt es zunehmend unter den Armen des Landes, die von den steigenden Preisen am härtesten getroffen werden. Um die Preissteigerungen abzumildern, hat die Regierung die Importsteuern auf Speiseöl gesenkt und den Export von Hülsenfrüchten und der meisten Reissorten verboten. Doch da ganz Südasien unter der Nahrungsmittelkrise leidet, erwarten Sri Lanka und Bangladesch Reisimporte von Indien. Dies alles ängstigt die kongressgeführte Regierung, da in diesem Jahr in einem Duzend Bundesstaaten Wahlen anstehen und nächstes Jahr im ganzen Land.

Kreditboom statt Flaute in Brasilien

Nicht zum ersten Mal, wenn es um globale Wirtschaftsindikatoren geht, stehen die Zeichen in Brasilien gegen den düsteren Trend der Weltwirtschaft. Hier wird weniger über eine Kreditkrise berichtet, sondern über die einmalige Gelegenheit für die Leute, sich ein eigenes Heim oder Konsumartikel zu kaufen, die früher unerreichbar waren, berichtet BBC-Mann Gary Duffy aus Sao Paulo.
Internationale Investmentagenturen und Magazine haben schnell gemerkt, dass Brasilien weitgehend von der Kreditkrise verschont geblieben ist, und haben die Investoren darauf hingewiesen, dass die größte Ökonomie Lateinamerikas eine sichere Bank ist. In Brasilien herrscht „Business as usual“, lautete eine Schlagzeile. Ausländische Investoren strömen ins Land.

Neue Immobilienkredite haben den Markt zweifellos auch für jüngere Leute geöffnet, die früher ausgeschlossen waren. „Vor fünf Jahren hätte ich keine Chance gehabt, diese Wohnung zu kaufen“, sagt Renato Guidolin, ein 30 Jahre alter Grafikdesigner, der kurz vor dem Kaufabschluss für ein neues Appartement in Sao Paulo steht. In vielen Teilen der Stadt sieht man einen boomenden Immobilienmarkt. Viele Appartements sind verkauft, noch bevor sie fertig gestellt sind. Das Fernsehen ist voll mit Werbung für elektronische Produkte, die gegen langfristige Ratenzahlungen angeboten werden.

All das passiert vor dem Hintergrund einer viel sicherer gewordenen wirtschaftlichen Situation in einem Land, das jahrelang den Ärger einer grassierenden Inflation gewohnt war. Natürlich bleibt Brasilien ein Land mit großer Ungleichheit. Doch die stete Verbesserung der wirtschaftlichen Lage hat viele Arme in die unteren Ränge der Mittelklasse gehievt. Sicherlich, die steigenden Nahrungsmittelpreise machen Sorge, und Brasilien wird zu einem Land, in dem das Leben teuer ist – aber im Moment ist die allgemeine Stimmung gut.

Eine Bankenblase in Nigeria

Während die Kreditkrise den europäischen und den US-Bankensektor hart getroffen hat, ist die Situation in Nigeria genau entgegengesetzt, schreibt Andrew Walker in Abuja. Die Banken können den Leuten gar nicht genug Geld leihen, und zwar auf eine Art und Weise, wie sie das vorher nie getan haben.
Millionen Nigerianer haben kein Bankkonto, weil ihnen die Banken in der Vergangenheit nicht vertraut haben. Doch seit die Regierung den Bankensektor vor drei Jahren konsolidiert hat, ist das Vertrauen gewachsen. Jetzt gibt es weniger und stärkere Banken, die schnell expandieren. Selbst in einigen sehr abgelegenen Dörfern gibt es inzwischen Niederlassungen oder Geldautomaten.

Der Boom wurde teilweise durch die Ausgabe von Bankenaktien gespeist, die massiv überzeichnet wurden. Die Banken boten den Leuten Kredite an, um Aktien anderer Banken zu kaufen, was prompt die Befürchtung hervor rief, auf dem Aktienmarkt könne sich eine Blase bilden. Die Zentralbank verschärfte die Regulierung, doch die Banken vermarkteten persönliche Kredite umso aggressiver. Zum ersten Mal konnten Leute Kredite und Immobiliendarlehen bekommen – wenn auch zum Zinssatz von rund 24%.

Der Boom des Kreditmarkts wurde von der Regierung durch den Verkauf tausender Häuser aus ihrem Besitz zu Spottpreisen angeheizt. Anders als in Europa oder den USA boomt der Immobilienmarkt in der Hauptstadt Abuja, und es gibt Gerüchte, dass einige Investoren beim Weiterverkauf der Häuser aus Regierungsbesitz Profite von 400% gemacht haben. Doch in einer Volkswirtschaft, die nicht viel mehr außer Öl produziert, wird man abwarten müssen, ob die Zentralbank in der Lage sein wird, das Platzen von Bankenblasen in der Zukunft zu verhindern.

Veröffentlicht: 10.8.2008

Empfohlene Zitierweise: Rainer Falk, Norden in Katerstimmung - Süden abgekoppelt. Ein Jahr nach dem Ausbruch der globalen Finanzkrise in: Informationsbrief Weltwirtschaft & Entwicklung, Luxemburg, 10.8. 2008 (www.weltwirtschaft-und-entwicklung.org).

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