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Der Geißlersche Schlichtungsprozess: Legitimation durch Verfahren oder Neutralisierung von Kritik?

von Dieter Rucht

Wenn in massiven Konflikten die streitenden Parteien um eine Lösung durch Gespräche ringen, bieten sich vier Verfahren an: die Verhandlung, die Mediation, die Schlichtung und das Gerichtsverfahren (bzw. Schiedsverfahren). Bei der Verhandlung fehlt eine übergeordnete Regulierungsinstanz; es gibt keine fixierten Regeln des Ablaufs; Verfahren und Ergebnis spiegeln das Gewicht von Macht und Gegenmacht. So geschah es im Rahmen der Auseinandersetzung um das geplante Atomkraftwerk Wyhl, als im Jahr 1975 die illegalen Platzbesetzer mit der Landesregierung die "Offenburger Vereinbarung" geschlossen haben. Bei der Mediation einigen sich dagegen die streitenden Parteien vorab auf den Mediator, der zunächst mit den Parteien die Spielregeln der Auseinandersetzung vereinbart. Er wacht über deren Einhaltung, ohne selbst Position in der strittigen Sache zu beziehen oder am Ende gar ein Urteil abzugeben. So geschah es bei der Mediation zur Abfallwirtschaft im Landkreis Neuss; so geschah es, wenngleich ohne die Verwendung des Wortes Mediation, beim Hannoveraner Gorleben-Hearing 1979 im Streit um die atomare Entsorgung. Im Falle der Schlichtung wiederum wird einem von beiden Seiten anerkannten Dritten die Aufgabe zugedacht, bei der Kompromissfindung behilflich zu sein und notfalls selbst einen Kompromiss vorzuschlagen. So geschah es in Tarifauseinandersetzungen, bei denen sich auch Heiner Geißler als Schlichter bewährte. Im Unterschied zu diesen drei Verfahrenstypen, die ergebnislos enden können, sind beim Gerichtsverfahren die Kontrahenten dem Richterurteil unterworfen. Im langjährigen Streit um die Regelung der Abtreibung stand am Ende der Spruch des Bundesverfassungsgerichts, das sogar den Gesetzgeber band. Wie der Soziologe Niklas Luhmann betont hat, besteht die funktionale Stärke von Verfahren darin, Legitimation zu erzeugen. In dem Maße wie sich die Parteien auf ein Verfahren einlassen, Stellungnahmen abgeben und sich auch streitend aufeinander beziehen, wächst die Wahrscheinlichkeit, dass sie den wie immer gearteten Ausgang des Verfahrens akzeptieren.

Der Status des Stuttgarter Verfahrens

Bei der Auseinandersetzung um das Projekt Stuttgart 21 haben sich die Beteiligten auf ein nicht vorab definiertes Verfahren eingelassen, dessen Status bis zum Schluss unklar geblieben war. Es wurde hoffnungsvoll und, selbst nach seinem bekannten Ergebnis, als "Versuch einer Sach- und Fachschlichtung" (Geißler) bezeichnet, aber war letztlich etwas anderes. Ein Ziel bestand darin, alle relevanten Behauptungen und Informationen auf den Tisch zu bringen, um volle Transparenz herzustellen. Zweitens sollten alle Behauptungen und daran geknüpften Argumente und Gegenargumente einem „Faktencheck“ unterzogen werden. Das wurde zum Teil eingelöst. Allerdings stand am Ende keine Aussage über Fakten, sondern ein auf merkwürdige Weise zustande gekommener „Schlichterspruch“. Merkwürdig daran war, dass die Streitparteien über dessen Konturen erst unmittelbar vor seiner Verkündung informiert wurden. Dann wanderte der Schlichter Geißler stundenlang in einer Art improvisierter Pendeldiplomatie hin und her, dabei das Heer wartender Journalisten und Fernsehzuschauer souverän ignorierend, aber mit dieser Situation auch den Druck auf die Zustimmungsbereitschaft beider Parteien erhöhend. So konnte er den Streitparteien gleichsam zwischen Tür und Angel die Zustimmung zu seinem "Schlichterspruch" abringen. Das wie die Auflösung eines Thrillers verkündete Ergebnis wurde weithin als ein akzeptabler Kompromiss eingestuft, bei dem es weder Verlierer noch Gewinner gab, so der Chefredakteur des SWR in den ARD-Tagesthemen wie auch Ministerpräsident Mappus. Tatsächlich aber gab es Gewinner und Verlierer. Ein Gewinner war sicherlich Heiner Geißler selbst, der in den Pressekommentaren ebenso wie in Plasbergs "Hart aber fair" in den Schlichterolymp gehoben wurde. Das war ein Statusgewinn, der einem jüngeren Geißler zum Amt des Bundespräsidenten hätte verhelfen können. Der zweite Gewinner, der Gewinner in der Sache selbst, waren die Projektbetreiber von Stuttgart 21. Nur mühsam beherrschten sie ihr Mienenspiel, um diesen Sachverhalt nicht allzu offenkundig erscheinen zu lassen. Auch sie hätten, so die Botschaft, bittere Pillen zu schlucken. Ebenso hatte sich Heiner Geißler in der sachlichen Ausgestaltung und kommentierenden Deutung seines Schiedsspruchs alle Mühe gegeben, niemand als Verlierer erscheinen zu lassen. Da wurden den Projektbetreibern von Stuttgart 21 Auflagen abgerungen; da fand auch das Projekt Kopfbahnhof 21 Lob; da wurden die Beteiligten für ihre Fähigkeit zum Zuhören, ihre Ernsthaftigkeit und ihre Fairness gelobt; da erschienen fast alle – die Öffentlichkeit, die Bahnkunden, die Umweltschützer, die Familien auf Wohnungssuche, die Behinderten – als Gewinner. Das schlussendliche Überrumpelungsverfahren und die Präsentation von "Stuttgart 21 plus" als "Schlichtungsergebnis" waren so geschickt angelegt, dass sich sogar viele Projektgegner als Gewinner fühlen konnten. Selbst deren strategischer Kopf im Schlichtungsverfahren, Boris Palmer als Gegenspieler des sanft und meist lächelnd sprechenden, aber in der Sache hart agierenden Bahnvorstands Volker Kefer, interpretierte das Schlichtungsergebnis als Etappensieg. Denn die Geißlerschen Auflagen versprächen einen Zeitgewinn, würden den bisherigen Finanzrahmen sprengen und damit politische Neuentscheidungen über das Gesamtprojekt erforderlich machen. So wurde durch alle Beteiligten in der breiten Öffentlichkeit der Eindruck eines weisen und geradezu salomonischen Schlichterspruchs zementiert. Kein Wunder, dass in einer kurz danach durchgeführten Bevölkerungsumfrage in Baden-Württemberg die zuvor festgestellte Mehrheit gegen das Projekt sich in eine Mehrheit für das Projekt verwandelt hatte.

Die Mängel des Verfahrens

Ein schon angedeuteter Mangel des Stuttgarter Verfahrens war die Unbestimmtheit seines Charakters und insbesondere der Funktion des "Schlichters", der es bis zur letzten Sitzung offen gelassen hatte, ob er selbst ein Votum abgeben würde. Damit hatte Geißler die volle Souveränität über die Ausgestaltung des Verfahrens und die Definition seiner eigenen Rolle. Bis zum letzten Akt hielt er die Inszenierung seiner strikten Neutralität durch, verteilte Anerkennung und Tadel nach allen Seiten, machte sich zum Anwalt des gesunden Menschenverstandes und, in geradezu unerbittlichen Weise, zum Anwalt des breiten, fachlich nicht vorgebildeten Publikums, dem jegliche Fremdworte vorenthalten bleiben sollten.

Wie vielfach gefordert, begegneten sich Befürworter und Gegner tatsächlich auf gleicher Augenhöhe. Allerdings war dies eine Symmetrie der Oberfläche, eine Symmetrie der Auftritte und Sprechzeiten, welche die strukturelle Ungleichheit der Parteien verdeckte: Auf der einen Seite ein langer Planungsvorlauf, ein Fülle von Gutachten und Berechnungen, eine Phalanx von Experten, die auch im Laufe des Verfahrens mit ständigen Nachbesserungen, teils aufgrund der Einwände der Gegenseite, aufwarten konnten. Auf der anderen Seite ein erst in Umrissen erkennbares, noch nicht durchgeplantes Projekt K 21, dessen Vertreter institutionell so schwach ausgestattet waren, dass ihnen die Gegenseite generös die Begleichung der Recherchekostenkosten zusagte. Diese im Verfahren allenfalls als gelegentlicher Stoßseufzer erkennbare Asymmetrie war dann auch einer der ausschlaggebenden Gesichtspunkte für Geißler, um die Fortführung von Stuttgart 21 "für richtig" zu erklären.

Ausdruck der an Allmacht grenzenden und durch Akklamation gestützten Souveränität von Geißler war auch der Sachverhalt, dass er die Länge des Verfahrens von Anfang an festsetzte (sechs Wochen) und, wiederum mit Zustimmung der Parteien, am Sitzungsplan weitgehend festhielt, obgleich sich in der jeweiligen Sitzung selbst bzw. in einer unmittelbar nachfolgenden Sitzung bestimmte zentrale Sachverhalte nicht klären ließen. Eine Klärung hätte einer fachlichen Aufarbeitung bedurft, für die der straffe Sitzungsplan keine Zeit ließ. Somit wurde in größter Hast auf beiden Seiten nachgearbeitet, um dann erneut mit Behauptung und Gegenbehauptung aufzuwarten. Auch gelang es Geißler nicht, die wesentlichen Sachfragen von jenen zahlreichen Detailfragen zu trennen, die insgesamt das Gros der Diskussionszeit bestimmten. Diese Details hätten bei einem besser vorbereiteten und zeitlich weniger gedrängten Verfahren in paritätisch besetzte Untergruppen verlagert werden können.

Zur Bewertung des Schlichterspruchs

Das Erstaunlichste am Schlichterspruch ist die zentrale Begründung für das Kernprojekt Stuttgart 21, den Bau eines unterirdischen Durchgangsbahnhofs. Erstens: das Projekt sei bereits politisch und planerisch abgesichert; zweitens, es habe bereits viel Geld verschlungen bzw. seine Annullierung würde viel Geld verschlingen; drittens, die Bahn AG wäre im Besitz des Baurechts und würde auf diesem Rechtstitel auch bestehen. All dies war vor dem Schlichtungsverfahren hinlänglich bekannt. Das Verfahren hat dem nichts Wesentliches hinzufügt. Hinzugefügt wurden allerdings Erkenntnisse über grundsätzliche wie auch spezielle Schwachstellen des Projekts Stuttgart 21, die von dessen Befürwortern teilweise im Kern bestritten, teilweise als noch zu lösende Aufgaben im Sinne einer Nachoptimierung bezeichnet wurden. Hinzugefügt wurden auch grundsätzliche Informationen über das Projekt K 21, das, so steht zu vermuten, gegen S 21 die Oberhand behalten hätte, wären beide Projekte zu einem weitaus früheren Zeitpunkt gleichrangig einer fachlichen und öffentlich-diskursiven Prüfung ausgesetzt worden.

Hinzugefügt wurde durch die Geißlersche Empfehlung aber auch eine Reihe von Auflagen, die bei den Befürwortern von S 21 zunächst einige Schluckbeschwerden auslösten, aber bald einer vermutlich berechtigten Gelassenheit wichen. Großzügig wurde konzediert, nicht gleich morgen die Bauarbeiten wieder aufzunehmen. In den Konditionen Geißlers spiegelt sich nochmals die schon im Schlichtungsprozess erkennbare Schwäche, Wesentliches vom Unwesentlichen zu trennen. So wurde, durchaus publikumsnah, die Selbstverständlichkeit einer angemessenen Brandschutzes als Teil des Schlichterspruchs eingefordert. Ebenso verlangte Geißler im Zusammenhang mit dem Fällen bzw. Umsetzen (!) von Bäumen "ein Mediationsverfahren mit Bürgerbeteiligung".

Ein zentraler Punkt von Geißlers Konditionen ist der geforderte Stresstest im Hinblick auf die behauptete Kapazität von S 21. Von einer Computersimulation soll abhängig gemacht werden, ob ein oder zwei weitere Gleise erforderlich seien. Der Test soll nach dem derzeitigen Stand der Dinge von eben jenem Schweizer Unternehmen durchgeführt werden, das der Bahn AG schon zuvor zu Diensten gestanden hat. Verkehrs- und Umweltministerin Tanja Gönner hat postwendend darauf verwiesen, dieses Unternehmen habe ja bereits die behauptete Kapazität im Grundsatz attestiert. Und solle es wider Erwarten anders kommen, so wären die Zusatzkosten von 150 bis 170 Millionen Euro im Rahmen des ohnehin bestehenden Finanzpuffers zu verschmerzen.

Eine andere der Geißlerschen Konditionen dürfte dagegen den Projektträgern mehr Kopfzerbrechen machen. Die Forderung, die durch S 21 frei werdenden Gleisflächen sollten einer nicht profitorientierten, von einer Stiftung gesteuerten Nutzung zugeführt werden, könnte Brisanz entwickeln, sofern die Rechtsform der Stiftung nicht bloße Fassade sein soll. Immerhin steht mit der Einrichtung "Lebendige Stadt", eng verbunden mit der Einkaufs-Center Entwicklungsgesellschaft Gmbh & Co. KG, bereits eine Stiftung in den Startlöchern – eine Stiftung, der übrigens auch Ministerin Tanja Börner und andere Projektbefürworter eng verbunden waren. Eine im Geißlerschen Sinne durchgeführte Nutzung der frei werdenden Flächen in der Größenordnung von insgesamt 100 Hektar in bester City-Lage würde jener ursprünglichen Intention zuwiderlaufen, die um das Jahr 1993 die so genannten 21er-Projekte der Deutschen Bundesbahn auf den Weg bringen sollte. Nach außen hin ging es darum, Bahnhöfe zu einer "Erlebniswelt mit Gleisanschluß" umzugestalten. Hintergrundmotiv für die Schaffung unterirdischer Durchgangsbahnhöfe in München, Ulm/Neu-Ulm, Stuttgart, Mannheim und anderen Orten war die Absicht, die Bundesbahn zu privatisieren und längerfristig als Aktiengesellschaft an die Börse zu bringen. Da erschien ein rabiater Modernisierungskurs geboten. Dessen Ausdruck waren nicht nur die Ausdünnung des Streckennetzes sowie der Abbau von Personal und Materialreserven, sondern auch die Absicht, wertvolle Flächen in Innenstädten frei zubekommen und zu verkaufen. Die meisten dieser Planungen wurden aufgegeben – teils aus Kostengründen, teils aus mangelnder politischer Unterstützung auf Stadt- und Landesebene, teils aus dem nicht absehbaren Börsengang. Dagegen hielt man an Stuttgart 21 fest. Freilich wurden diese Planungen nicht konsequent verfolgt, sondern immer wieder liegen gelassen. Selbst die vom Oberbürgermeister Stuttgarts hastig vollzogene Finanzierungszusage vom 5. Oktober 2007, aufgrund derer das Bürgerbegehren im Stadtrat und dann mit gerichtlicher Bestätigung ignoriert werden konnte, wurde erst eineinhalb Jahre später von den übrigen Projektfinanziers, der Bahn AG, dem Bund und dem Land, unterzeichnet. Verzögerungen entstanden weder durch die obligatorischen Schritte des Planungsverfahrens noch durch den Widerstand der Bürgerschaft. Letzterer führte erst mit Beginn der Schlichtung zu einem Baustopp.

Die Geschichte des Projekts und die Gründe seiner Verschleppung waren ebenso wenig ein zentraler Gegenstand der öffentlichen Aufklärung im Schlichtungsverfahren wie der Inhalt bereits geschlossener Verträge. Gegen deren Offenlegung wurde, obgleich es sich um Gelder der Steuerzahler handelt, das Betriebs- und Geschäftsgeheimnis geltend gemacht. Somit waren die behaupteten Zahlen über drohende Kosten im Falle eines Ausstiegs aus dem Projekt nicht nachvollziehbar. Dramatisierend warnten Befürworter des Projekts Stuttgart 21 vor einem "Vertragsbruch", obgleich die Ausstiegsklauseln in Verbindung mit Entschädigungszahlungen üblicher Bestandteil solcher Verträge sind. Es würde also lediglich eine vereinbarte Klausel aktiviert.

Im Kern der Sache, das war schon vor dem Schlichtungsprozess klar, konnte es keinen Kompromiss geben: Kopfbahnhof oder unterirdischer Durchgangsbahnhof – daran konnte auch ein noch so sehr respektierter wie gewiefter Taktiker Geißler etwas ändern. Was Geißler unbestritten geleistet hat, ist eine zumindest vorübergehende Beruhigung einer eskalierenden Situation. Er hat einen Rahmen geschaffen, in dem viele, wenngleich nicht alle relevanten Gesichtspunkte des Streits öffentlich und mit einer bis dato kaum vorstellbaren Anteilnahme des Publikums diskutiert werden konnten. Von diesem Beispiel geht eine Signalwirkung auf künftige Planungsvorhaben aus. Allenthalben sind Äußerungen zu hören, man müsse die Planungsverfahren verkürzen, strukturell verändern, die Bürgerschaft früher anhören, einbeziehen und "abholen".

Allerdings handelte es sich, entgegen den Zuschreibungen von Geißler, bei diesem Verfahren nicht um ein „neues Projekt unmittelbarer Demokratie“ oder "direkter Demokratie". Direkte Demokratie bedeutet Volksbegehren und Volksentscheid. Aber bislang durfte das Volk, von dem alle Staatsgewalt ausgeht und das diese in Wahlen und Abstimmungen (!) ausübt, in dieser Sache nicht entscheiden. Und Geißler selbst hielt einen Volksentscheid zumindest nach dem gegenwärtigen Stand weder für geboten noch für rechtlich möglich. Wäre die Rechtslage so, dann hätte der Landtag von Baden-Württemberg einen solches Unterfangen nicht per Mehrheitsbeschluss noch während des Schlichtungsprozesses ablehnen müssen. Ein Volksentscheid ist im Falle deutlich veränderter Mehrheitsverhältnisse in Landtag wahrscheinlich. Mit einem Votum für den Volksentscheid hätte sich aber Geißlers Rolle deutlich reduziert. Er wäre Organisator eines öffentlich veranstalteten Faktenchecks geblieben. So aber bleibt der Eindruck, dass er die Rollen eines Mediators, Schlichters und Quasi-Richters verbunden und vermengt hat. Dass dies von den Streitparteien weitgehend akzeptiert wurde, ist wohl dem persönlichen Charisma von Geißler und seiner "volksnahen" Verhandlungsführung zuzuschreiben. Ein "Stuttgarter Modell" (Geißler) bzw. ein "Modell Geißler" als "Blaupause" (Die Zeit) kann daraus nicht erwachsen.

Und wie geht es weiter?

Was aber bleibt, ist die unbestrittene Einsicht, dass außergewöhnlich Polarisierungen wie im Falle Stuttgarts durch eine frühzeitige und umfassende Einbeziehung der Bürgerschaft entgegengewirkt werden soll. Was ebenso bleibt ist der Nachweis, dass große Teile der Bürgerschaft an einem derartigen Prozess Anteil nehmen wollen. Und es bleibt die Einsicht, dass die Kritiker eines derartigen Projekts gute Argumente haben können, welche eine Würdigung verdienen. Dem werden die derzeitigen Planfeststellungsverfahren mit ihren zumeist nur pro forma durchgeführten Anhörungen nicht gerecht.

Wie aber wird es mit Stuttgart 21 weitergehen? Große Teile der Grünen begeben sich in den Widerspruch, den Schlichterspruch zu akzeptieren und dennoch gegen S 21 weiter zu demonstrieren. Da haben es die "Parkschützer" einfacher, die sich dem Schlichtungsverfahren verweigerten. Die Proteste, vielleicht nun mit etwas schwächerer Beteiligung und vermutlich deutlich geringerer öffentlicher Unterstützung, werden anhalten. Die anstehende Landtagswahl im März 2011 gibt den Projektgegnern Antrieb und Hoffnung. Darin wurden sie von der Kanzlerin bestärkt, die diese Wahlen auch und vor allem als ein Votum über S 21 verstanden wissen will. Am Ende könnte doch ein Volksentscheid stehen, wie ihn sowohl die Grünen als auch die SPD ins Auge fassen. Allerdings sind ausgerechnet in Baden-Württemberg, dem Vorreiter des kommunalen Bürgerentscheids, die Hürden für Volksbegehren und Volksentscheid außergewöhnlich hoch. Noch nie kam es hier zu einem Entscheid. Auch dies wäre ein Grund, der proklamierten Bürgernähe und dem Geist des Grundgesetzes mehr Geltung zu verschaffen.