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Hermes-Bürgschaften - Atomtod exportiert man nicht!

Anfang Februar 2010 erteilte die Bundesregierung dem französisch-deutschen Atomenergiekonzern Areva NP/Siemens eine grundsätzliche Bürgschaft für das brasilianische Atomkraftwerk Angra 3 im Umfang von 1,3 Milliarden Euro. Damit hat sie das von der rot-grünen Bundesregierung im Jahr 2001 eingeführte Ausschlusskriterium für Atomexporte wieder aufgehoben. Als Hermes-Bürgschaften bezeichnete Exportkreditgarantien werden deutschen Unternehmen gewährt, um diese in sogenannten ‚schwierigen Märkten’, besonders in Entwicklungs- und Schwellenländern, gegen die Zahlungsunfähigkeit lokaler Besteller abzusichern.

Die endgültige Bürgschaft für Angra 3 ist jedoch noch nicht erteilt, derzeit laufen die Verhandlungen mit französischen Banken über die Kreditkonditionen für dieses Projekt. Da die Bundesregierung den Bürgschaftsvertrag noch nicht unterzeichnet hat, kann sie bei einer „wesentlichen Änderung der Sach- und Rechtslage“ die bereits erteilte Grundsatzzusage noch zurückziehen.

Eine solche wesentliche Änderung der Sach- und Rechtslage ist mit dem Atomunfall in Japan jetzt eingetreten. Die Ereignisse zeigen eindrücklich, dass die Gefahren der Atomkraft nicht beherrschbar sind. Wenn die Bundesregierung, wie behauptet, ihre Atompolitik überdenkt, kann und darf sie den Bau von Atomkraftwerken im Ausland nicht weiter unterstützen.

Deshalb bitten wir Sie, mit uns gegen die endgültige Bürgschaftsvergabe zu protestieren und die Bundesregierung aufzufordern, die Bürgschaft für Angra 3 zurückzunehmen und wieder umgehend aus der Förderung von Atomexporten auszusteigen.


Es gibt viele gute Argumente, die gegen das Projekt Angra 3 sprechen. Gerade in den Punkten Reaktorsicherheit, Katastrophenschutz und Lagerung der radioaktiven Abfälle stellt die Anlage in Brasilien eine tickende Zeitbombe dar.

1. Schlechter Standort

Der Standort Angra an der brasilianischen Atlantikküste ist denkbar schlecht gewählt: Die geologischen Verhältnisse in diesem von Erdbeben und Erdrutschen gefährdeten Küstengebirge zwischen Rio und São Paulo sind weder für Atomkraftwerke noch für die Zwischenlagerung von strahlendem Müll geeignet.

Ein weiteres Sicherheitsrisiko stellt die Nicht-Berücksichtigung des drohenden Meeresspiegelanstiegs in den Umweltverträglichkeitsstudien dar. Der nach Berechnungen des Weltklimarates zu erwartende Meeresspiegelanstieg an diesem Standort stellt auch eine Bedrohung für den AKW-Standort Angra dar.

2. Veraltete Anlage

Vom Stand der Technik ist Angra 3 vergleichbar mit dem in den 70er Jahren in Deutschland errichteten Kraftwerk Grafenrheinfeld. Dabei handelt es sich um einen Druckwasserreaktor der zweiten Generation. Der Neubau eines Atomkraftwerkes nach diesen Standards wäre heute in Westeuropa nicht mehr genehmigungsfähig.

Hinzu kommt, dass Angra 3 im derzeit geplanten Design bei einer zentralen Sicherheitsfrage – dem Schutz des Atommeilers gegen Einwirkungen von „außen“ – hinter deutschen Standards zurückbleibt. Auch das von Areva NP/Siemens in Auftrag gegebene Gutachten kommt zu dem Schluss, dass Angra 3 „nicht gegen Flugzeugabsturz gemäß der deutschen RSK-Leitlinie ausgelegt ist“ (ISTec-Gutachten 2009: 6).

3. Katastrophaler Notfallschutz

Die Ereignisse in Japan lassen den seit über zwei Jahrzehnten unzureichenden Katastrophenschutz bei den Kraftwerken in Angra in einem nochmals dramatischeren Licht erscheinen. Die Notfallpläne wurden auch von den deutschen Gutachtern bemängelt.

Im Falle eines atomaren Unfalls müssten auch in Brasilien, ähnlich wie jetzt in Japan, in einem 20-km-Radius ca. 170.000 Menschen evakuiert werden. Die derzeit gültigen Notfallpläne in Brasilien sehen jedoch lediglich die Evakuierung von Betroffenen im 5-km-Radius vor. Menschen, die weiter vom Kernkraftwerk entfernt leben, wird lediglich geraten, in ihren Häusern Schutz zu suchen. Eine derart rudimentäre Notfallplanung bleibt weit hinter international üblichen Standards zurück.

Eine Auflage in der Baugenehmigung zu Angra 3 fordert den Betreiber Electronuclear deshalb auf, endlich den zentralen Fluchtweg – die Straße BR-101 – auszubauen. Nur so könnte eine schnelle Evakuierung der Bevölkerung im Notfall durchgeführt werden. Ob Electronuclear dies allerdings bis zur Inbetriebnahme schafft, ist mehr als fraglich. Denn diese Auflage war bereits in der Baugenehmigung für den Zwillingsreaktor Angra 2 zu finden, der 2001 ans Netz ging, ohne dass der Betreiber da bisher Abhilfe geschaffen hätte.

4. Ungelöste Atommüllentsorgung

Ein weiteres Problem der Anlage ist die provisorische Lösung für die Lagerung der radioaktiven Abfälle: Sie ist in 20 Jahren Betriebslaufzeit von einem Atomkraftwerk an diesem Standort keinen Schritt weiter gekommen: Zurzeit lagert der radioaktive Müll der Atomreaktoren Angra 1 und 2 unter Wasser in sogenannten ‚blauen Schwimmbecken'. Der frühere brasilianische Umweltminister Minc kritisiert diese Lagerung als völlig unzureichend. Die Baugenehmigung fordert deshalb die Errichtung eines langfristigen Lagers für die Abfälle.

5. Auflagen für die Schublade?

Dem früheren brasilianischen Umweltminister Minc ist selbst nicht wohl bei Angra 3: sein Ministerium stimmte 2007 in der entscheidenden Sitzung der Nationalen Kommission für Kernenergie gegen die Realisierung des Projektes, wurde allerdings von anderen Ministerien überstimmt. Die Baugenehmigung für Angra 3 wurde deshalb mit 60 Auflagen versehen.

Die Bundesregierung wertet die zahlreichen Auflagen als Gütesiegel dafür, dass die Sicherheitsüberprüfungen in Brasilien sehr streng seien. In Brasilien ist es de facto jedoch gängige Praxis, sich nicht um die Einhaltung von Auflagen zu kümmern. Gerade wurde das komplette Direktorium der nationalen Atombehörde CNEN entlassen, weil diverse Nuklearanlagen, darunter Angra 2, illegalerweise seit mehreren Jahren ohne dauerhafte Betriebsgenehmigung laufen.

Fukushima mahnt: Atomkraftwerke abschalten – überall!

Zwischen 2001 und 2010 war die staatliche Exportförderung für Atomtechnologie verboten. Die schwarz-gelbe Bundesregierung schaffte dieses Ausschlusskriterium gleich am Anfang ihrer Amtszeit ab, um die Bürgschaft für Angra 3 zu ermöglichen.

Seitdem hat die Bundesregierung neben Angra 3 weitere Bürgschaften für Lieferungen an Atomkraftwerke in Schwellen- und Entwicklungsländern erteilt. Zulieferungen für Atomkraftwerke in China, Japan, Südkorea, Litauen, Slowenien und Russland wurden verbürgt. Weitere Anträge und Anfragen liegen vor für Exporte nach Großbritannien, Finnland, Vietnam und Südafrika. Bei allen Deckungen handelt es sich – mit Ausnahme des Milliardenprojektes Angra 3 – um Lieferungen im jeweils zweistelligen Millionenumfang.

Diese Bürgschaften stellen ein unkalkulierbares Sicherheitsrisiko dar: In Entwicklungs- und Schwellenländern sind die nuklearen Sicherheitsstandards (von der Reaktorsicherheit über die Müllentsorgung bis hin zu Proliferationsrisiken und Katastrophenschutz) erschreckend niedrig. Atombehörden kommen ihren Aufsichtspflichten in der Regel nur äußerst begrenzt nach, gleichzeitig mangelt es an Transparenz, auch sind Protestmöglichkeiten oft extrem eingeschränkt.

Die Vergangenheit hat zudem gezeigt, dass ehrgeizige Atomprojekte die Verschuldung in Entwicklungs- und Schwellenländern massiv vorantreiben. Für das Atomkraftwerk Angra 2 beispielsweise musste Brasilien 1,4 Milliarden Euro Schulden allein aus geplatzten Hermes-Bürgschaften gegenüber Deutschland abstottern.

Deshalb muss die Bundesregierung neben der Rücknahme der Bürgschaft für Angra 3 das Verbot von Bürgschaften für Atomtechnologie wieder einführen.