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Globalisierte Finanzmärkte Ein Jahrzehnt nach Beginn der großen Krise

Das Bildungsmaterial zum Thema globale Finanzmärkte erscheinen im Sommer 2018 anlässlich zweier gegensätzlicher und doch miteinander verbundener Jahrestage. Am 3. Juni 1998 wurde Attac in Frankreich mit dem Ziel einer demokratischen Kontrolle der internationalen Finanzmärkte gegründet. Während Attac also seinen 20. Geburtstag feiern kann, jährt sich zugleich der Ausbruch der größten globalen Finanz- und Wirtschaftskrise seit den 1930er-Jahren zum zehnten Mal. Symbolisch für dieses Ereignis, vor dem die Globalisierungskritiker_innen stets gewarnt hatten, steht die Pleite der US-Investment-Bank Lehman Brothers am 15. September 2008. Diesen doppelten Jahrestag nahm Attac zum Anlass, um mit dem vorliegenden Material auf den Ausbruch der großen Krise zurückzublicken und die zunehmende Bedeutung der Finanzmärkte und ihre sozialen Folgen kritisch in den Blick zu nehmen.

Das Material ist in vier Module gegliedert, die jeweils mit einer kurzen fachlichen Einführung und einem knappen didaktischen Kommentar zu den einzelnen Elementen beginnen.

III Bankenrettung

In der Einleitung zu Modul II wurde kurz und knapp die Geschichte der Krise von 2008 erzählt. In seitherigen Forschungen werden einige Aspekte hervorgehoben, für die es im traditionellen Verständnis des Bankensystems zuvor keine Begriffe gab. In dieser wissenschaftlichen Erzählung werden Schattenbanken (Shadow Banking), Verbriefung (Securitization), kurzfristiger Interbankenmarkt und Liquiditätskrise zu wichtigen Dimensionen.

Der Begriff »Shadow Banking« wurde zum ersten Mal 2007 verwendet. Heute wird er an vielen Stellen durch »Market-based Finance« ersetzt und es konkurrieren viele Definitionen für den Begriff. Die Idee dabei ist jedoch, unser herkömmliches Verständnis des Bankgeschäfts aufzubrechen. Denn schon längst werden nicht mehr die Einlagen der einen zu den Sicherheiten der Banken für die Kredite an die anderen. Stattdessen ist zwischen den Einlagen und den Endkrediten ein hochkomplexes System entstanden. Darin spielen verschiedene Finanzmarktakteure und -praktiken eine wichtige Rolle. Akteure sind dabei nicht nur herkömmliche Banken. Pensionskassen, Versicherungen, Anlagefonds, Investmentbanken wie auch konventionelle Unternehmen, die an Finanzmärkten Kredite aufnehmen, begeben oder Fremdwährung kaufen, gehören zum Shadow Banking dazu. Der Kern des Prozesses besteht darin, dass Banken Kredite nicht mehr verbegeben und dann in ihren Büchern behalten, bis das Geschäft beendet ist. Denn je schneller alle beteiligten Akteure einen vergebenen Kredit an den nächsten weiterreichen können, desto niedriger ist das Ausfallrisiko für die einzelnen. Es entsteht quasi ein Spiel mit dem heißen Eisen, in dessen Zentrum ultra-kurzfristige Kredite stehen, die Finanzmarktakteure sich in der Regel nur für 24 Stunden gegenseitig gewähren.

Hier kommt die Verbriefung ins Spiel: Neben völlig unbesicherten Krediten auf dem Interbankenmarkt sichern Finanzmarktakteure ihre Kredite in der Regel so ab, dass sie sich gegenseitig für die vereinbarte Laufzeit Anleihen mit Rückkaufsrecht geben. Wie bei einem Automobil-Kredit eine Immobilie als Sicherheit dienen kann, wurden hier Staatsanleihen und später eben Derivate, die auf den faulen Häuserkrediten basierten, verwendet. Dieser Prozess, aus Häuserkrediten verkaufbare Anleihen zu machen, wird Verbriefung beziehungsweise »Securitization« genannt. Auch diese Praxis der Verbriefung zählt zum Prozess des Shadow Bankings.

Bei dieser kurzfristigen Kreditvergabe auf dem Interbankenmarkt wird ein Problem virulent, für das es bis 2010 kaum regulatorische Einhegung gab: Da alle beteiligten Akteure an sehr kurzfristige Verbindlichkeiten gebunden sind, sind sie auf die Zahlungen der anderen unbedingt angewiesen. Man nennt das systemisches Risiko. Und da diese Kredite so kurzfristig sind, blieb den pleitegehenden Banken 2008 nicht ausreichend Zeit, sich neues Geld zu beschaffen. Dadurch wurden sie illiquide, das heißt, ihnen gingen die Barmittel aus. In der Folge wurde das Eigenkapital aufgebraucht und sie wurden insolvent.

Daraufhin intervenierten zwei staatliche Stellen: Zentralbanken stellten Notkredite zur Verfügung, um Finanzinstitute mit Liquidität zu versorgen, und die Finanzministerien vieler Regierungen weltweit kauften entweder schwächelnden Banken die faulen Kredite ab, stellten ihnen Kapital aus Steuermitteln zur Verfügung oder verstaatlichten die Institute. Ohne das Eingreifen der Staaten wäre es früher oder später zu einem Zusammenbruch des gesamten Finanzsystems gekommen. Allerdings sind die möglichen Maßnahmen in einer solchen Krise und ihre Kosten gesellschaftlich nicht neutral. Verschiedene Bevölkerungsgruppen haben (zumindest implizit) unterschiedliche Interessen hinsichtlich möglicher Bankenrettungen. Dementsprechend sind sie politisch umstritten.

Durch die Kosten für die Bankenrettungen, staatliche Konjunkturprogramme und die sozialstaatliche Abfederung der Arbeitslosigkeit sind die Staatsausgaben in der Krise stark gestiegen. In der Folge lautete die dominante Antwort auf die Krise, der Staat müsse sparen, sprich seine Ausgaben reduzieren. Die Einnahmeseite, also die Erhöhung der Steuern (zum Beispiel auf Unternehmensgewinne, Erbschaften oder hohe Einkommen), bleibt dabei unberücksichtigt. Die Kürzungen im Zuge der »Sparpolitik« betreffen jedoch oftmals Sozialleistungen, auf die wiederum die ärmeren Teile der Bevölkerung angewiesen sind. Ein Beispiel dafür war das »Sparpaket« der deutschen Bundesregierung von 2010, mit dem unter anderem Leistungen für Empfänger_innen von Hartz IV und von Wohngeld gekürzt wurden.

Regulatorisch ist infolge der Krise ein neuer weltweiter Rahmen für das Bankenwesen entstanden (bekannt unter dem Stichwort Basel III). Dieser enthält höhere Kapitalanforderungen für Banken, die es ihnen möglich machen sollen, sich selbst länger vor der Pleite zu bewahren, sowie weitere Regeln, die das Liquiditätsproblem und das systemische Risiko eindämmen sollen. Zudem wurde in der Eurozone eine gemeinsame Bankenaufsicht, ein Einlagensicherungssystem und ein Abwicklungsmechanismus für Banken eingerichtet, der sicherstellen soll, dass auch die Eigentümer_innen und die großen Schuldner_innen einer Pleitebank für Verluste aufkommen müssen.

Wie wirksam diese neuen Regularien sind, ist umstritten. Sicher ist, dass neue Krisen nicht ausbleiben werden, auch wenn niemand sagen kann, an welcher Stelle im System es beim nächsten Mal krachen wird. Derzeit werfen einige Expert_innen ein Auge auf die hohe Verschuldung ökonomisch schwacher Länder. Da in den meisten Industrieländern die Zinsen extrem niedrig sind, verschieben Anlageverwalter Kapital in arme Länder und lassen sich das Risiko dort mit hohen Zinsen bezahlen. Das Geschäft der Verbriefung und des Weiterreichens von Krediten ist auch dort schon längst angekommen. Es gilt also auf neue Krisen vorbereitet zu sein und das Geschäft von Banken und anderen Finanzmarktakteuren ebenso wie mögliche Krisenszenarien in Grundzügen einordnen zu können.

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