Menü

I Marktwirtschaft und Kapitalismus

In der Alltagssprache, aber auch in den Medien, wird oft zwischen einem »bösen Kapitalismus« und einer »guten Marktwirtschaft« unterschieden. Insbesondere die »Soziale Marktwirtschaft« hat sich in Deutschland seit den 1950er-Jahren als positiv besetzter Begriff etabliert. Sie ruft Bilder von sozialstaatlicher Sicherung und Umverteilung auf, obgleich das dahinter stehende Konzept ursprünglich überhaupt nicht darauf ausgerichtet war. Und auch heute verwenden manche den Begriff, die das komplette Gegenteil anstreben.

Kapitalismus hingegen ruft Bilder von fiesen, geldgierigen Ausbeutern auf der einen Seite und sklavenähnlichen Arbeitsbedingungen auf der anderen Seite auf. Bilder, die an das 19.Jahrhundert oder an heutige Textilfabriken in Bangladesh denken lassen. Analytisch sind solche Gegensätze zwischen »guter Marktwirtschaft« und »bösem Kapitalismus« allerdings nicht sinnvoll. Denn schließlich wird ja – um bei dem Beispiel zu bleiben – ein Großteil der Kleidung, die hierzulande verkauft wird, in Asien unter Bedingungen produziert, die hierzulande gesetzlich verboten wären.

In wirtschaftstheoretischer Hinsicht stellen die klassische Nationalökonomie und die Neoklassik den Markt in den Mittelpunkt ihrer Überlegungen. Dieser gilt hier als ideales Organisationsprinzip, da er in einer Gesellschaft von Egoist_innen zu den besten Ergebnissen für alle führe. Wenn alle ihren individuellen Nutzen verfolgen, bringe dies zugleich die optimalen Ergebnisse für die Gesamtheit hervor, so der Grundgedanke von Adam Smith, der die berühmte Metapher der unsichtbaren Hand für diese regulierende Kraft des Marktes erfand.

Auf der gleichen Annahme beruht auch die vom Homo oeconomicus bevölkerte Modellwelt der Neoklassik, in der Angebot und Nachfrage stets zu einem Marktgleichgewicht führen. Zu den Krisen und Konzentrationsprozessen ebenso wie zu den sozialen und ökologischen Folgen der wirklichen Wirtschaftsprozesse hat diese Modellwelt allerdings wenig zu sagen.

Auf diese realen wirtschaftlichen und sozialen Prozesse zielt dagegen Kapitalismus als analytischer Begriff. Dabei wird die Bedeutung des Markts für die »kapitalistische Produktionsweise« (Marx) keineswegs bestritten. Aber er gilt hier eben nicht per se als ideales Prinzip, sondern seine sozialen Voraussetzungen, Wirkungsweisen und Folgen rücken ins Zentrum der Betrachtung, das heißt unter anderem

  • das Privateigentum an Produktionsmitteln,
  • die Lohnarbeit, beziehungsweise der Verkauf der Arbeitskraft als Ware,
  • die Akkumulation, das heißt die beständige Erweiterung des Kapitals durch Kredite und Rein-
  • vestition der Profite,
  • die damit einhergehende und durch die Marktkonkurrenz befeuerte Konzentration in Megakonzernen und
  • der mit dem ständigen Wachstumszwang einhergehende Naturverbrauch.

Entsprechende Analysen des Kapitalismus zielen auf eine Kritik der bestehenden gesellschaftlichen Verhältnisse. Damit wird immer auch die Frage nach Alternativen aufgeworfen, allerdings ohne den Anspruch, die »richtige Antwort« gleich mitliefern zu können. Diese Antworten zu geben, ist Sache der demokratischen gesellschaftlichen Auseinandersetzung.

Ein zentrales gesellschaftliches Verhältnis wird allerdings sowohl in den Theorien der (Neo-) Klassik als auch in Analysen des Kapitalismus oft nicht berücksichtigt: Das Geschlechterverhältnis. So haben feministische Autor_innen darauf hingewiesen, dass ökonomische Modelle wie der Homo oeconomicus oder Kategorien wie der Verkauf der Ware Arbeitskraft an männlichen Realitäten orientiert sind.

Die noch immer mehrheitlich von Frauen geleistete Reproduktionsarbeit oder Care-Arbeit (Erziehung, Pflege, Kochen, Putzen etc.) kommt in ökonomischen Theorien oft gar nicht vor, weil sie unbezahlt zu Hause geleistet wird. Wenn sie marktvermittelt als Lohnarbeit organisiert ist, dann ist sie vielfach schlecht bezahlt und das, obgleich sie gesellschaftlich absolut unverzichtbar ist. Auch das gilt es bei der Auseinandersetzung mit unserer Wirtschaftsweise im Unterricht und in anderen Bildungsveranstaltungen zu berücksichtigen.

Weiter zu den didaktischen Hinweisen