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Offener Brief der Zivilgesellschaft aus Europa und Kanada

Mehr als 450 zivilgesellschaftliche Organisationen und Gruppen aus Kanada und Europa, darunter auch Attac Deutschland, haben Ende November 2016 die Gesetzgeber aufgefordert, gegen das EU-Kanada-Freihandelsabkommen CETA zu stimmen. Wir dokumentieren nachstehend den offenen Brief.

Zivilgesellschaft aus Europa und Kanada fordert: CETA muss abgelehnt werden!

Wir, die hier unterzeichnenden zivilgesellschaftlichen Organisationen aus Kanada und Europa, sind alarmiert über das Comprehensive Economic and Trade Agreement CETA zwischen der EU und Kanada. Während der langwierigen Verhandlungen und der rechtlichen Überprüfung des Abkommens haben wir mehrfach auf die zahlreichen Schwierigkeiten aufmerksam gemacht, die CETA aufwirft. Unsere Kritik war stets verbunden mit konkreten Vorschlägen, wie eine transparentere und demokratischere Handelspolitik zugunsten von Mensch und Umwelt aussehen könnte. Dennoch wurde unsere Kritik an CETA überhört und das Abkommen im Oktober 2016 unterzeichnet. Wir möchten nun hiermit noch einmal bekräftigen: Die Ratifizierung des CETA-Abkommens lehnen wir ganz klar ab.

Eine wachsende Zahl von BürgerInnen beiderseits des Atlantiks teilt unsere Bedenken. Rund 3,5 Millionen Menschen in der gesamten EU haben die Petition gegen CETA und seinen Zwilling, das EU-USA-Handels- und Investitionsabkommen TTIP mitgezeichnet. Mehr als 2.100 Gemeinden, Städte und Kommunen erklärten sich selbst TTIP- und CETA-frei. Zudem kam es in Deutschland und Kanada zu Verfassungsklagen gegen CETA. Auch der Europäische Gerichtshof wird sich voraussichtlich mit der Frage der Rechtmäßigkeit von CETA befassen, insbesondere wegen der höchst umstrittenen Sonderklagerechte für ausländische Investoren.

Auf beiden Seiten des Atlantiks haben sich LandwirtInnen, Gewerkschaften und Verbraucherschutz-, Umwelt-, Datenschutz- sowie viele weitere Gruppen und Nichtregierungsorganisationen ebenso wie kleine und mittlere Unternehmen gegen CETA ausgesprochen. Im Oktober 2016 hatten vier belgische Regionalparlamente die belgische Regierung beinahe daran gehindert, CETA auch tatsächlich zu unterzeichnen. Streitpunkt war dabei vor allem das gefährliche „Investitionsgerichtssystem“ oder investment court system.

Obwohl eine Vielzahl der Bedenken weiterhin bestehen, versuchen die kanadische Regierung und die EU-Institutionen nun, CETA möglichst schnell zu ratifizieren. In Kanada wurde der Gesetzesentwurf, mit dem das Abkommen in Kraft gesetzt wird, bereits ins Parlament eingebracht, ohne, dass es eine Beteiligung der Öffentlichkeit zu CETA in seiner endgültigen Form gab. Ebenso scheint das Europäische Parlament die internen Anhörungs- und Beratungsmöglichkeiten und auch die Debatte über den 1.600-seitigen CETA-Text einfach zu übergehen. Letztendlich würden große Teile des Abkommen vorläufig angewandt – noch bevor die Parlamente der einzelnen EU-Mitgliedstaaten über CETA abgestimmt haben. Um die bestehenden Zweifel zu zerstreuen und CETA zustimmungsfähiger zu machen, wurden dem Abkommen eine Vielzahl von zusätzlichen Erklärungen hinzugefügt. Dennoch ändern solche Zusatzerklärungen CETA nicht einmal ansatzweise. ExpertInnen bestätigen, dass das auch für die „gemeinsame Auslegungserklärung“ bzw. das Joint Interpretative Instrument gilt.

Wir möchten hiermit nochmals auf die zentralen Schwierigkeiten von CETA eingehen:

  • Durch CETA könnten tausende Konzerne Regierungen verklagen und zwar wegen legitimer und nicht-diskriminierender Maßnahmen im öffentlichen Interesse. Die zusätzlichen Erklärungen bieten hier keinerlei Schutz: Investoren können durch CETA Gesetzgebung beispielsweise im Kampf gegen den Klimawandel verwässern oder verhindern. Gleichzeitig besteht die Möglichkeit, dass Konzerne für nicht eingetretene Profite „entschädigt“ werden, wenn ein Politikwechsel ihre Investition beeinträchtigt. Entgegen den Behauptungen, CETA würde die Investor-Staat-Klagerechte „radikal“ reformieren, werden diese durch CETA erst recht ausgeweitet und auf breiter Basis durchgesetzt.
  • Das Investitionsgerichtssystem ICS stattet Investoren mit extrem wirksamen und durchsetzbaren Rechten aus – verpflichtet sie im Gegenzug jedoch zu nichts. BürgerInnen, Gemeinden oder Gewerkschaften können nicht klagen, wenn ein Konzern gegen Umwelt-, Gesundheits-, oder andere Gesetze verstößt. ICS könnte auch gegen EU-Recht verstoßen, weil damit ein paralleles Rechtssystem geschaffen wird, mit dem Investoren die bestehende Rechtsordnung umgehen können. Zudem ist ICS diskriminierend: Lediglich ausländische Investoren erhalten Klagerechte, nicht aber BürgerInnen sowie inländische Investoren oder Unternehmen.
  • In deutlichem Gegensatz zu den weitreichenden Rechten für Konzerne sind die in CETA enthaltenen Bestimmungen zu Arbeitsrechten und nachhaltiger Entwicklung nicht durch Sanktionen durchsetzbar. Diese Bestimmungen bleiben leere Worthülsen und gegenüber den Gefahren, die CETA für ArbeitnehmerInnenrechte, Umwelt- und Klimaschutz bedeutet, gänzlich wirkungslos.
  • CETA wird es Regierungen äußerst schwer machen, öffentliche Dienstleistungen bereitzustellen, auszuweiten und zu steuern. Und auch die Rücknahme gescheiterter Privatisierungen und Liberalisierung wird erheblich eingeschränkt. CETA verfolgt dabei als erstes Handelsabkommen der EU den Ansatz, dass die Liberalisierung von Dienstleistungen zu einer grundsätzlich geltenden Regel wird. Regulierungen im öffentlichen Interesse hingegen werden damit zur Ausnahme. Das bedroht den Zugang der Bevölkerung zu qualitativ hochwertigen Dienstleistungen wie Wasser, öffentlicher Transport und zur Gesundheitsvorsorge sowie die Erbringung von Dienstleistungen im Sinne der Öffentlichkeit.
  • Eine unabhängige Studie über die wirtschaftlichen Folgen von CETA kommt zu dem Ergebnis, dass in Kanada und Europa sogar Arbeitsplätze verloren gehen. Das Wirtschaftswachstum wäre geringer als ohne das Abkommen und die relativ kleinen Einkommenssteigerungen kämen vor allem Kapitaleignern – und nicht den ArbeitnehmerInnen zugute. Deshalb ist durch eine CETA eine Verschärfung von Ungleichheiten zu erwarten.
  • Durch CETA steigt in der EU und in Kanada das Risiko von Finanzkrisen, da die Finanzmärkte stärker liberalisiert werden und zugleich Reformen, die auf eine größere Stabilität der Märkte, der Wirtschaft als Ganzes und auf mehr Verbraucherschutz abzielen, erheblich eingeschränkt werden.
  • Die Kosten für Medikamente werden jährlich in Kanada auf ein Niveau von 583 Millionen € (rund 850 Millionen Kanadische Dollar) steigen. Grundlegende Rechte wie das Recht auf Datenschutz und Privatsphäre werden eingeschränkt. Wenn Regierungen exzessive Eigentumsrechte einschränken wollen, um den Zugang zu Wissen und Innovationen sicherzustellen, werden sie durch CETA daran gehindert. Die Eigentumsrechte in CETA entsprechen denen von ACTA, dem 2012 durch das Europäische Parlament abgelehnten Anti-Piraterie-Abkommen.
  • Die CETA-Regelungen zur regulatorischen Zusammenarbeit und zur innerstaatlichen Regulierung stellen eine zusätzliche Belastung für den Gesetzgeber dar und stärken die Rolle von Lobbyverbänden im Gesetzgebungsprozess. Damit werden unter Umständen dringend notwendige Gesetze im öffentlichen Interesse verhindert.
  • Beiderseits des Atlantiks setzt CETA LandwirtInnen einem enormen Konkurrenzdruck aus, VerbraucherInnen profitieren wenig. CETA stärkt die Machtposition von Konzernen im Saatgutsektor und behindert die Förderung von lokal erzeugten Lebensmitteln. Außerdem bedroht CETA hohe Standards in der Lebensmittelproduktion und -verarbeitung und die Förderung einer nachhaltigen Landwirtschaft.
  • Vorsorgemaßnahmen zum Schutz von VerbraucherInnen, der Gesundheit und der Umwelt können mit CETA angefochten werden unter dem Vorwand, sie seien zu „aufwändig“, nicht „wissenschaftsbasiert“ und versteckte Handelshemmnisse. Der CETA-Vertrag und die zusätzlichen Erklärungen bieten keinen effektiven Schutz für das Vorsorgeprinzip der EU. Gleichzeitig wird auf die im Widerspruch stehenden Ansätze eingegangen.

CETA wurde lange Zeit von der Vorgängerregierung Kanadas und der vorherigen Europäischen Kommission im Geheimen verhandelt. Der endgültige CETA-Vertragstext und die angeschlossenen Erklärungen ignorieren nahezu alle sinnvollen und konkreten Vorschläge, die von der Zivilgesellschaft vorgetragen wurden, um die Fehler in CETA zu korrigieren. Die jüngsten Versuche vonseiten der Regierung Walloniens in Belgien, die Verhandlungen wieder zu öffnen, wurden blockiert. Das 1600-seitige Abkommen kann nur noch in seiner Gesamtheit abgelehnt oder angenommen werden.

Wir verlangen,

  • dass das Europäische Parlament, das kanadische Parlament, aber auch nationale und regionale Parlamente die Rechte und Interessen der Menschen gegen die Gefahren, die durch CETA entstehen, verteidigen und im Rahmen des Ratifizierungsprozesses gegen CETA stimmen
  • dass die vielen Regional- und Länderregierungen, die Bedenken zu CETA geäußert haben, auch im Rahmen des Ratifizierungsprozesses ihre Standpunkte deutlich machen
  • dass diese Akteure einen umfassenden demokratischen Beratungsprozess auf Grundlage einer neuen, gerechten und nachhaltigen Handelsagenda anstoßen, der die Zivilgesellschaft miteinbezieht.

CETA in seiner gegenwärtigen Form ist kein fortschrittliches oder progressives Abkommen. Es wäre ein Fehler, dieses Abkommen mitsamt seinen gefährlichen Bestimmungen zu ratifizieren, zumal als Grundlage für weitere Handelsabkommen in der Zukunft. CETA steht für die rückwärtsgewandte alte Freihandelsagenda, die von den großen Konzernen vorangetrieben wird. Was wir brauchen ist ein Umdenken hin zu einer transparenten und inklusiven Handelspolitik, die die Menschen und den Planeten in den Blick nimmt. Die Ratifizierung von CETA wird diesem dringend notwendigen Wandel im Wege stehen.