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II Handelsverträge und Demokratie

Heißt Demokratie, dass alle paar Jahre gewählt wird? Was haben Handelsverträge und Privatisierung damit zu tun? Was geht mich das an und was kann ich machen?

Die Europäische Kommission argumentiert, dass die Verhandlungen von TTIP, CETA und TiSA keineswegs undemokratisch seien, denn schließlich hätten die gewählten Regierungschefs der Mitgliedstaaten die Kommission beauftragt, die Verhandlungen aufzunehmen. Dennoch stand die Frage der Demokratie von Beginn an und völlig zu Recht im Zentrum der Auseinandersetzungen um die Verträge.
Zunächst erregte vor allem die Intransparenz der Verhandlungen das Misstrauen der kritischen Öffentlichkeit. Nach und nach wurden jedoch – oft durch geleakte Dokumente – immer mehr Details öffentlich und bestätigten die Bedenken. So wurde deutlich, dass die Industrielobby auf beiden Seiten des Atlantiks von Beginn an einen übergroßen Einfluss ausübte. Dementsprechend stehen deren Interessen auch hinter zentralen Elementen von TTIP, CETA und TiSA, die wiederum unter demokratischen Gesichtspunkten höchst problematisch sind:


* Da wären zunächst die Schiedsgerichte: Investoren können Staaten vor Privatgerichten verklagen, wenn politische Maßnahmen ihre erwarteten Profite schmälern. Dort entscheiden keine unabhängigen Richter, sondern zwei Anwälte vertreten jeweils eine Seite und ein Dritter fällt die Entscheidung, ohne eine Möglichkeit, Berufung einzulegen: ein profitables Geschäft für wenige spezialisierte Kanzleien jenseits des normalen Justizsystems. Zudem ist abzusehen, dass die Furcht vor teuren Strafzahlungen dazu führt, dass manches Gesetz erst gar nicht verabschiedet wird. Derzeit hat etwa Vattenfall die Bundesregierung wegen des Atomausstiegs vor einem Schiedsgericht auf 3,7 Milliarden Euro verklagt. Als Reaktion auf die wachsende Kritik wurde von der EU-Kommission ein Investitionsgerichtshof vorgeschlagen, der jedoch ebenfalls auf Sonderklagerechte für Konzerne hinausliefe und unter anderem vom Deutschen Richterbund abgelehnt wird.

* Unter dem Stichwort "Regulatorische Kooperation" sollen im Rahmen von TTIP ein Frühwarnsystem für Interessengruppen, Folgeabschätzungsberichte und ein gemeinsamer Regulierungsrat der USA und der EU eingerichtet werden. Interessengruppen aus der EU und den USA sollen frühzeitig informiert werden, wenn irgendwo neue Regeln für die Wirtschaft in Planung sind. Sie sollen dadurch die Möglichkeit erhalten, Rückmeldungen einzubringen – noch bevor sich die Parlamente mit dem jeweiligen Gesetzesvorhaben befassen. Zudem sollen neue Gesetze nur dann legitim sein, wenn bereits im Vorfeld eine Untersuchung zu dem Ergebnis kommt, dass sie 'nützlich' sind. Und schließlich soll der sogenannte Regulierungsrat, ein demokratisch nicht legitimiertes Gremium, eine zentrale Rolle in Sachen politischer Regulation bekommen.

* Außerdem beinhalten TTIP, CETA und TiSA eine Agenda zur Privatisierung der öffentlichen Daseinsvorsorge. Insbesondere mit TiSA soll festgelegt werden, dass erfolgte Privatisierungen nicht mehr rückgängig gemacht werden können, obgleich immer mehr Kommunen weltweit merken, dass Privatisierungen ein Irrweg waren, weil die Kosten steigen und die Qualität sinkt. Keine unerwartbare Konsequenz, wenn öffentliche Dienste an profitorientierte Unternehmen übergeben werden. Zudem werden ökologische und soziale Vergabekriterien in der öffentlichen Beschaffung infrage gestellt. Insgesamt würden damit demokratische Handlungsspielräume entscheidend eingeschränkt.

Passend zu dieser demokratiegefährdenden Agenda werden Verfahrenstricks angewandt, um dem Widerstand möglichst wenig Handlungsspielräume zuzugestehen. So wurde eine Europäische Bürgerinitiative zu TTIP und CETA mit einer formalen Begründung abgelehnt, deren Gültigkeit zurzeit noch juristisch geprüft wird.

Zudem blieb lange umstritten, wie genau die Verträge jeweils zu ratifizieren sind. Denn insbesondere parlamentarische Zustimmungen im Europaparlament, aber vor allem auch in den Mitgliedstaaten, sowie mögliche nationale Referenden könnten zu entscheidenden Hürden werden. Nachdem nun klar ist, dass CETA einige solcher Hürden nehmen muss, versucht die EU-Kommission zu erreichen, dass der EU-Rat (Rat der Europäischen Union) einer "vorläufigen Anwendung" zustimmt. Damit wäre CETA faktisch in Kraft, bevor der reguläre Ratifizierungsprozess abgeschlossen ist.

Insgesamt sind die Auseinandersetzungen um Handelsverträge geradezu idealtypisch für die Tendenzen, die in den Sozialwissenschaften unter Stichworten wie Postdemokratie (Colin Crouch) und Neuer Konstitutionalismus (Stephen Gill) diskutiert werden: Trotz des Weiterbestehens oder gar des Ausbaus formaldemokratischer Verfahren (z.B. Europäische Bürgerinitiative) werden wesentliche Entscheidungen zunehmend hinter verschlossenen Türen und im Interesse von Großkonzernen getroffen. Wobei internationale Verträge dazu genutzt werden, ganze Politikbereiche dauerhaft der parlamentarischen Entscheidung in den Einzelstaaten zu entziehen.

Die Vehemenz des Widerstandes gegen TTIP & Co dürfte auch dadurch zu erklären sein, dass hier eine exemplarische Auseinandersetzung um die Zukunft der Demokratie geführt wird. Noch brisanter wird diese Situation dadurch, dass die Krise der Demokratie in Europa auch von nationalistischer Seite aufgegriffen wird. In nahezu allen Ländern mobilisieren entsprechende Parteien und Gruppierungen nicht nur gegen Geflüchtete, sondern auch gegen TTIP und schüren dabei antiamerikanische Ressentiments. Umso wichtiger sind kritische Positionen auf der Basis von Demokratie, Menschenrechten und ökologischer Nachhaltigkeit.

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