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Bildungsmaterial zur Eurokrise Modul IV: Ungleichgewichte in der Eurozone

Was sind wirtschaftliche Ungleichgewichte, wie entstehen sie, warum sind sie ein Problem und was habe ich damit zu tun?

Die Eurokrise ist nicht alleine eine Frage der Geld- und Fiskalpolitik in Folge der globalen Finanzkrise von 2007. Ein wesentliches – und in der deutschen Öffentlichkeit wenig beachtetes – Moment sind die wirtschaftlichen Ungleichgewichte zwischen den Eurostaaten.

Als wirtschaftliche Ungleichgewichte werden Handels- und Finanzbeziehungen zwischen Staaten bezeichnet, in denen eine Seite dauerhaft mehr importiert beziehungsweise exportiert als die andere. Das heißt mit Blick auf die Leistungs- bzw. Handelsbilanzen stehen sich Überschuss- und Defizitländer gegenüber. Dabei müssen sich die Defizitländer das Geld leihen, mit dem sie ihren Importüberschuss bezahlen. Überspitzt gesagt leihen die Überschussländer den Defizitländern das Geld, mit dem diese dann wiederum die Waren der Überschussländer kaufen.

Eigentlich gilt eine mittelfristig ausgeglichene Handelsbilanz als Ziel der Wirtschaftspolitik. Dies ist unter anderem im deutschen Stabilitäts- und Wachstumsgesetz festgeschrieben. Kurzfristig sind positive oder negative Leistungsbilanzen dennoch normal. Auf Dauer muss eine solche Konstellation aber in eine Krise führen, denn irgendwann ist das Defizitland überschuldet. Das heißt, es wird klar, dass es seine Schulden nicht (komplett) zurückzahlen kann. Dann haben aber auch die Überschussländer ein Problem, denn sie müssen ihre Kredite (zum Teil) abschreiben. Letztlich haben sie Waren geliefert, für die sie keinen Gegenwert bekommen und die sie so gesehen besser hätten selbst verbrauchen können.

Idealtypisch sorgen die Wechselkurse zwischen den Währungen für einen gewissen Ausgleich. Die Währung eines Defizitlandes wird früher oder später abgewertet, was dem Ungleichgewicht entgegenwirkt, weil damit die Exporte billiger und die Importe teurer werden. Seit der Einführung des Euro fällt dieser Mechanismus zwischen den teilnehmenden Staaten weg. Zugleich gibt es keine koordinierte Wirtschaftspolitik, sondern diese Länder stehen in Konkurrenz zueinander. Auf dieser Basis haben sich dauerhafte Ungleichgewichte zwischen Überschuss- und Defizitländern in der Eurozone herausgebildet.

Als mit den Folgekosten der Finanzkrise die Haushaltsdefizite überall in die Höhe schossen, kam auf den Finanzmärkten die Frage auf, ob tatsächlich alle Länder ihre öffentlichen und privaten Schulden tragen können. Dabei gerieten vor allem die Länder mit Leistungsbilanzdefiziten unter Druck, da die Frage blieb, wie bei dauerhaft steigenden Defiziten Geld für die Schuldentilgung eingenommen werden soll. An dieser Stelle hat die globale Krise ein strukturelles Problem der Eurozone in den Fokus gerückt. Da es bei Import und Export beziehungsweise Schuldner- und Gläubiger-Ländern jeweils um ein wechselseitiges Verhältnis geht, wäre es falsch, das Problem nur auf der Seite der Defizitländer zu sehen.

Das prominenteste Überschussland ist der mehrfache ‚Exportweltmeister’ Deutschland. Eine bequeme Erklärung in der hiesigen Öffentlichkeit lautet, die Defizitländer hätten ‚über ihre Verhältnisse gelebt’. Diese Sicht lässt freilich schon einmal die Verantwortung der Banken außer Acht, welche diese Kredite offenbar leichtfertig vergeben haben. Vor allem aber lässt sich umgekehrt sagen, dass gerade Deutschland ‚unter seinen Verhältnissen’ gelebt hat. Ein Vergleich der Lohnstückkosten (die das Lohnniveau eines Landes unter Berücksichtigung seiner Produktivität anzeigen) verdeutlicht, dass die Exportstärke Deutschlands auf systematischem Lohndumping in den Jahren vor der Krise beruhte, welches die Stabilität der Eurozone untergrub. 

Aus Sicht deutscher Konzerne mag es erfreulich sein, dass auf diesem Wege die Konkurrenz in anderen europäischen Ländern niedergerungen wurde. Auch die vergleichsweise niedrige Arbeitslosigkeit in Deutschland mag (von der zunehmenden Prekarisierung der Arbeit einmal abgesehen) als Erfolg gewertet werden. Dagegen stehen allerdings die entsprechende hohe Arbeitslosigkeit in anderen Ländern, die Einkommensverluste der Lohnabhängigen hierzulande sowie die ökonomische und soziale Instabilität des europäischen Projektes.

Ein konstruktiver Umgang mit diesem Problem zeichnet sich derzeit nicht ab. Zwar wurde im Zuge der EU-Krisenpolitik auch ein Monitoring-Verfahren installiert, mit dem Ungleichgewichte erfasst und seitens der EU-Kommission Vorschläge zu ihrem Abbau vorgelegt werden. Aber auch hier sind – auf Druck der deutschen Regierung – Sanktionen allenfalls für Defizit- und nicht für Überschussländer vorgesehen.

Bisher zielt die Politik in Europa allein darauf, die ‚Wettbewerbsfähigkeit’ der Defizitländer zu steigern. Die Frage ist jedoch, wer deren Exportgüter aufnehmen soll, schließlich muss jeder Export auch irgendwo importiert werden. Es müssten also auch gezielte Maßnahmen ergriffen werden, um die Importe in den bisherigen Überschussländern zu steigern. Oder – und das scheint die Strategie zu sein – das Problem soll mittels Exporten in außereuropäische Länder verlagert werden.

Das allerdings wird auf Dauer globale Ungleichgewichte verschärfen und zu entsprechenden politischen Spannungen und wirtschaftlichen Krisen führen. Es wird also wichtig bleiben, die Problematik der wirtschaftlichen Ungleichgewichte, nicht zuletzt im Hinblick auf soziale Fragen, zu verstehen und die Debatte um eine koordinierte Handelspolitik im wechselseitigen Interesse zu führen.

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