Pascal Lamy: Europäischer Freihandelsfalke wird WTO-Generaldirektor
von Inga Nüthen u. Alexis Passadakis
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Mit dem ehemaligen Handelskommissar Pascal Lamy übernimmt
am 1. September ein Vertreter europäischer Konzerninteressen
den Posten des WTO-Generaldirektors. Während sich die
Industriestaaten mehr Druck in den aktuellen Verhandlungen
erhoffen, fürchten Nichtregierungsorganisationen und
soziale Bewegungen weltweit die Rolle, die der Liberalisierungs-Falke
bei der Durchsetzung von Freihandelspolitik gegenüber
dem Süden spielen könnte.
Pascal Lamy: Karriere für den Freihandel
Als Manager neoliberaler Politik nahm der neue Generaldirektor
der Welthandelsorganisation bereits auf zahlreichen Stühlen
in den Schaltzentralen von politischen Apparaten und Wirtschaft
Platz. Eine exzellente Ausbildung und bürokratische Raffinesse
erwarb er als Absolvent der französischen Eliten-Kaderschmieden
ENA (Ecole Nationale dAdministration) und HEC (Haute
Ecole du Commerce). Später lernte er beim ehemaligen
EU-Kommissionspräsidenten Jacques Delors auf der
Klaviatur der Machtstrukturen der Kommission in Brüssel
zu spielen. Als Generaldirektor der französischen Großbank
Crédit Lyonnais nutze er seine Beziehungen nach Brüssel,
um das schwächelnde Kreditinstitut mit umfangreichen
Rettungshilfen der EU zu versorgen. Schließlich beeindruckte
er mit Verfahrenstricks und Ermüdungsstrategien als Handelskommissar
der EU-Kommission. Ab dem 1. September 2005 strebt er nun
als Generaldirektor der WTO die Verbesserung der Welt nach
den Spielregeln technischer Rationalität und ökonomischer
Effizienz an.
Pascal Lamy: Handelsreisender in Sachen Konzerninteressen
Die europäische Kommission versteht sich in den WTO-Verhandlungen
als Vertreterin der Interessen der großen europäischen
Konzerne. In enger Abstimmung mit den etwa 1000 in Brüssel
ansässigen Lobbyfirmen und -organisationen werden Positionen
und Forderungen der europäischen Handelspolitik entwickelt.
Die enge Zusammenarbeit zwischen der Generaldirektion Handel
und Lobbyisten erfolgt sowohl über formelle als auch
informelle Kanäle. Über die Politik der revolving
doors findet ein ständiger Personalaustausch zwischen
EU-Bürokratie und der Privatwirtschaft statt. Pascal
Lamy z.B. arbeitete von 1994 bis 1999 bei der französischen
Bank Crédit Lyonnais und war später als Handelskommissar
über die GATS-Verhandlungen auch für den Bereich
der Liberalisierung von Finanzdienstleistungen zuständig.
Während
er WTO-Ministerkonferenz im mexikanischen Cancún 2003
zeigte Pascal Lamy sich als aggressiver Vertreter der Agenda
europäischer transnationaler Unternehmen auch
gegen die Einwände von EU-Mitgliedstaaten und
trug mit seiner harten Position damit wesentlich zum Abbruch
der Verhandlungen bei.
Im Vorfeld der Ministerkonferenz hatten die europäischen
Konzern-Lobby-Verbände vehement auf die Aufnahme der
vier Singapur-Themen in den Verhandlungsprozess gedrängt.
Selbst als sich in Cancún abzeichnete, dass die Ministerkonferenz
kurz vor dem Abbruch stand, pochte Pascal Lamy bei den EU-Mitgliedstaaten
auf ihre Verpflichtung gegenüber der Business-Agenda.
Zwar schlug die britische Handelsministerin Patricia Hewitt
am Vorabend des Scheiterns vor, nicht länger auf den
Verhandlungsbeginn zu einem Investitionsabkommen zu drängen,
Lamy jedoch beharrte darauf, dass sowohl UNICE als auch die
Confederation of British Industry die Aufnahme von Gesprächen
über ein Investitionsabkommen gefordert hätten.
Deshalb müsse der gleichzeitige Verhandlungsbeginn über
alle vier Singapur-Themen - inklusive Investitionen
EU-Position bleiben.[1] Erst am Morgen
des letzten Konferenztages, als sich der Abbruch der Verhandlungen
bereits abzeichnete, gab Pascal Lamy in diesem Punkt nach.
Ein Jahr später erläuterte Pascal Lamy in einem
Interview mit der Jakarta Post vom 9. September 2004, wie
er den Kurs der EU-Außenwirtschaftsbeziehungen beurteilt:
Europäische Handelspolitik ist wie ein Öltanker:
Sie ist schwer beladen, solide gebaut und nicht sonderlich
flexibel. Ihre Richtung ist nicht leicht zu ändern, dafür
äußerst konstant und vorhersehbar, so dass kein
Risiko besteht, dass sich Positionen, welche von der amtierenden
Kommission eingenommen werden, plötzlich ändern.
Die Faktoren, welche die europäische Handelspolitik bestimmen,
sind relativ konstant. Hier und da mag es Abweichungen geben,
aber die geopolitischen Linien ändern sich nicht.
[2]
Unabhängig von (tages-)politischen Konjunkturen bestimmt
die aggressive Exportorientierung transnationaler Konzerne
die Marschrichtung.
Wie zentral die Vorgaben der Industrie sind, erläuterte
Pascal Lamy in Vorfeld der Ministerkonferenz von Cancún
in einer Rede vor der Generalversammlung der Vereinigung der
Ernährungsindustrien der EU am 19. Juni 2003 in Brüssel:
[...] da die Ernährungsindustrie über
das seltene Privileg verfügt, dass sich drei Kommissionsmitglieder
mit ihr befassen, nämlich Franz Fischler auf dem Gebiet
der Landwirtschaft, da die Verarbeitungserzeugnisse landwirtschaftliche
Zolltarifpositionen haben, Erkki Liikanen auf dem Gebiet der
Industrie, da dieselben Produkte im Binnenmarkt Industrieerzeugnisse
darstellen, und ich selbst im Rahmen meiner Zuständigkeit
für die Fragen des internationalen Handels. Angesichts
dieser Vorzugsbehandlung ist es nur natürlich, dass Ihre
Industrie gute Beziehungen zur Kommission pflegt (ich
hoffe, ich irre mich nicht), und dieses ein wenig komplizierte
System hat einen Vorteil: Es bringt Sie dazu, sehr klare Positionen
in Handelsfragen zu vertreten, da Ihnen bewusst ist, dass
Ihr Gewicht gegenüber ihren drei Gesprächspartnern
wächst, wenn Sie sich einig sind. Dank dieser klaren
Positionen wissen wir Verhandlungsführer, welche Richtung
wir einschlagen sollten. Und Ihre Unterstützung bzw.
Ihre Position stärken die unsere, selbst wenn die europäische
Position den Standpunkt der Industrie natürlich nicht
immer zu 100% widerspiegeln kann.[3]
Entwicklungsrhetorik als Deckmantel für Freihandelspolitik
Der 58-jährige Franzose lässt sich als Hoffnungsträger
für die Entwicklungsländer feiern. Schließlich
versteht er sich darin, sich scheinbar auf deren Bedürfnisse
einzulassen. Mit der Initiierung der everythig but arms
initiative der EU-Kommission im Jahr 2001, die zollfreien
Handel der ärmsten Länder mit der EU verankerte,[4]
verschaffte er sich den Ruf eines Verhandlungsführers,
der sich um die Belange der ärmeren Ländern kümmert.
Sein übriges Handeln spricht allerdings eine andere Sprache.
Die Fortführung der Doha-Runde, also das Verfolgung der
allumfassenden Liberalisierung der Weltwirtschaft, sieht er
als first, second and third priority.[5]
Rhetorisch durchaus geschickt gibt er als Ziel zwar vor,
die Interessen der Entwicklungsländer in Zentrum der
WTO rücken zu wollen,[6] tatsächlich
arbeitete er nach dem Scheitern von Cancún zielstrebig
darauf hin, die Gruppen der Entwicklungsländer zu schwächen
und zu spalten. Insbesondere während der Verhandlung
zum so genannten Juli-Abkommen im Jahre 2004 unterminierte
er den Zusammenhalt der G20 und marginalisierte die G90.
Bei einer Befragung der Kandidaten durch zivilgesellschaftliche
Organisationen für den WTO-Generaldirektorposten
im Januar 2005 gab er dann auch unmissverständlich zu
verstehen, dass für Menschenrechte andere Organisationen
zuständig seien. Grundsätzlich ist er weiterhin
davon überzeugt, dass freier Handel allein die Ungleichheiten
in der internationalen Handelspolitik auszugleichen vermag:
trade opening and reducing trade barriers, has been,
remains, and will remain, essential to promote growth and
development, to improve standards of living and to tackle
poverty reduction.[7]
Pascal Lamy und Lebensmittel: am besten manipuliert!
In der Tat erwies sich Lamy in der Vergangenheit als konsequenter
Vertreter der Interessen der europäischen Nahrungsmittelindustrie.
Entgegen dem EU-Moratorium, das den Mitgliedsstaaten erlaubt,
Einfuhrverbote für GMO-Produkte (Gentechnisch modifizierte
Organismen) auszusprechen, versuchte er zu Beginn seiner Amtszeit
als EU-Kommissar gemeinsam mit den USA über eine bei
der WTO angesiedelte Kommission die Durchsetzung von GMO-Produkten
voranzutreiben. Der Vorstoß, der bei anderen Kommissionsmitgliedern
und vielen Mitgliedsstaaten auf Widerstand stieß, hätte
bedeutet, dass die sich WTO zukünftig um die Regulierung
des Handels mit GMO-Produkten kümmern würde und
somit nationalstaatliche Beschränkungen zum Schutz der
Menschen unmöglich gemacht worden wären. Pascal
Lamy steht strikter Regulierung, Kennzeichnung und Ausstattung
mit Herkunftsnachweise von GMO-Produkten ablehnend gegenüber.[8]
Mit dieser Position setzt sich Pascal Lamy in Widerspruch
zu etwa 80% [9] der Bürger und Bürgerinnen
der Europäischen Union, die gentechnisch veränderte
Produkte ablehnen.
Auch nach dem Scheitern seines Vorstoßes verfolgte
Lamy in den folgenden Monaten eine GMO-freundliche Handlung.
Vor der Unterzeichnung der Doha-Erklärung beruhigte er
seinen Duz-Freund Robert Zoellick, den damaligen amerikanischen
Handelsbeauftragten, in einem Brief:
Sie haben mich wissen lassen, dass Ihre Regierung
bezüglich des Handels mit Biotechprodukten und der Umsetzung
der handelsbezogenen Aspekte der geltenden und künftigen
multilateralen Abkommen zur Biosicherheit in tiefer Sorge
sei, und haben dabei auch die Befürchtung geäußert,
Europa könnte die in Doha beschlossenen Ergebnisse nutzen,
um illegitime Handelsbarrieren zu rechtfertigen. Dazu wird
es nicht kommen. Des Weiteren möchte ich Ihnen versichern,
dass ich die Verhandlungsergebnisse nicht dazu nutzen werde,
die hinsichtlich des Vorsorgeprinzips in der WTO geltende
Balance von Rechten und Pflichten zu modifizieren.[10]
Pascal Lamy und die internationale Zivilgesellschaft: Ignorieren
und Täuschen
Seine erste WTO-Ministerkonferenz als EU-Handelskommissar
erlebte Pascal Lamy in Seattle, wo geschickte NGOs in den
Konferenzräumen und massive Proteste auf den Straßen
mit zu dem spektakulären Abbruch der Verhandlungen beitrugen.
Seattle symbolisierte die Geburt der globalisierungskritischen
Bewegung.
Als Reaktion auf diese Ereignisse begann die Generaldirektion
Handel unter seiner Ägide eine formelle Struktur für
so genannte Konsultationen mit der Zivilgesellschaft zu etablieren,[11]
die die bisherigen sporadischen ad hoc Gespräche ablösen
sollte. Ebenso betont Lamy in öffentlichen Reden die
Notwendigkeit für Transparenz bei der WTO:
Keeping the doors closed is self-defeating for the
WTO, lässt er verlauten. It feeds the unfounded
paranoia about the WTO that prevails among the anti-globalists,
the hard-core protectionists, and all the others in the world
who oppose all that the Members of the WTO are trying to accomplish
as the WTO. [12]
Tatsächlich erweist sich die Einrichtung der Dialogangebote,
sowohl der EU als auch der Welthandelsorganisation selbst,
als lediglich taktisches Manöver, um einen Schein von
Offenheit zu wahren und damit Legitimität herzustellen.
Der Informationsgehalt der Veranstaltungen geht nicht über
das hinaus, was über Websites und Medien sowieso öffentlich
zugänglich ist. Lamy aber ist ein Meister darin, für
die Möglichkeit von zivilgesellschaftlicher Teilhabe
zu werben:
I therefore launched an unprecedented public consultation
process with all stakeholders [...]. I was pleased to see
strong public interest that was shown in response to the consultation
and which resulted in more than 3000 submissions to the Commission.[13]
Von einem Dialog aber kann keine Rede sein; kritische Positionen
von NGOs und sozialen Bewegungen zur EU-Handelspolitik werden
ignoriert, und mit folgenlosen Aktionen und Briefings wird
Offenheit vorgetäuscht.
Der trügerische Schein eines Hoffnungsträgers
Die euphorischen Reaktionen bei Vertreten der Industrie und
den Staaten des Nordens auf die Wahl Lamys offenbaren die
strukturelle Krise der WTO: Lamy wird in der medialen Öffentlichkeit
als geschickt und smart beschrieben. Ein Hoffnungsträger
wird aufgebaut, von dem aufgrund zugeschriebener persönlicher
Qualitäten angenommen wird, er könnte die Interessensunterschiede,
die durch das Scheitern der Ministerkonferenzen in Seattle
und Cancún angezeigt wurden, überbrücken.
Aber die Konflikte zwischen Nord und Süd, zwischen Agrarexporteuren
und Agrarimporteuren sind weiterhin existentiell. Der scheinbare
Hoffnungsträger der kommenden Verhandlungen
wird auch von Ramon Bultron von der Hong Kong Peoples' Alliance
als Gefahr für die Länder des Südens eingeschätzt:
It is a great disappointment for peoples and countries
of the South for Pascal Lamy to become the new Secretary General
of the WTO. As the chief
representative of the European Union, he has shown not only
a consistent bias for EU and Northern interests to the disregard
of developing country concerns, but he has also shown that
he does not consider, in the interest of fair play, the concerns
and rights of Southern countries. It is difficult to expect
that any reform can be instituted in the WTO under his leadership,
but instead the situation could become far worse with more
devastating consequences for the poor of the world.[14]
Die
Chancen für eine gerechtere Weltwirtschaftsordnung in
der Amtszeit von Pascal Lamy stehen also mehr als schlecht.
Mit seinem überzeugten Festhalten am Freihandelsprinzip
und seiner politischen Orientierung entlang von Konzerninteressen
wird der neue Generaldirektor für eine Zementierung und
Verschärfung weltweiter sozialer Ungleichheiten einstehen.
Die WTO bedroht soziale Rechte. Deshalb arbeitet Attac gemeinsam
mit anderen sozialen Bewegungen aus aller Welt auf ein Platzen
der Ministerkonferenz in Hong Kong hin.
Berlin, August 2005
Version 1.0
31.08.2005: Presseerklärung
von Attac zum Amtsantritt von Lamy.
Fußnoten:
1 Action Aid, 2004, Divide and rule, S.
22
2 Pascal Lamy in der Jakarte Post, 9. September
2004.
3 Hervorhebung durch die AutorInnen; vgl.
http://europa.eu.int/comm/
archives/commission_1999_2004/lamy/speeches_articles/spla173_de.htm
4 www.weltpolitik.net/Sachgebiete/Europ%E4ische%20Union/
Politikfelder/Wirtschaft-%20und%20W%E4hrung/Analysen/Pr%E4ferenzielle
%20Handelsabkommen%20der%20EU%20mit%20Entwicklungsl%E4ndern.html
5 http://www.wto.org/english/news_e/news05_e/stat_lamy_26may05_e.htm
6 ebd.
7 http://www.wto.org/english/thewto_e/dg_e/stat_lamy_e.htm
8 http://www.corporateeurope.org/hallofshame/tabd.html
9
http://www.genug-wto.de/img/Flyer_Endversion.pdf
10 Brief von EU-Kommissar Pascal Lamy
an den Handelsbeauftragten Robert Zoellick, Doha, 14. 11.
2001, Inside U.S. Trade 19 (4), Washington, November 2001.
11 Bridges, Volume 8, Number 4, 2004
12 Bridges, Volume 8, Number 4, 2004
13| http://europa.eu.int/comm/trade/services/rpldda_en.htm
14 Ramon Bultron, Hong Kong Peoples' Alliance,
30.08.2005
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