GATS und Tourismus

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Die GATS-Verhandlungen der 145 WTO-Mitgliedsländer beziehen sich auf Dienstleistungen aller Art. Davon betroffen ist neben den klassische öffentliche Dienstleistungen wie Bildung und Gesundheit vor allem in den sogenannten Entwicklungsländern auch der Bereich Tourismus.


Den WTO-Regeln für den Handel mit Dienstleistungen liegen drei Prinzipien zugrunde: Marktöffnung, Inländerbehandlung (Gleichbehandlung für ausländische Dienstleistungserbringer) und Meistbegünstigung (ein Land darf den Dienstleistungserbringer eines anderen Landes nicht schlechter bzw. besser als alle anderen behandeln; Ausnahmen können speziell aufgelistet werden und sind zeitlich beschränkt).
Für den Tourismus heisst das, dass sich die Länder in einem bindenden Protokoll verpflichten, Schritt für Schritt ihren Markt zu öffnen, beispielsweise bestehende Vorschriften über maximale Beteiligungen von ausländischem Fremdkapital an Tourismusunternehmen aufheben und ausländischen Firmen dieselben Bedingungen einräumen wie einheimischen. Insbesondere soll die Zahl der ausländischen Anbieter und Arbeitskräfte im Tourismus nicht mehr begrenzt werden. Im Gegenzug sollen die unterzeichnenden Länder von ihren Handelspartnern zum Beispiel Zugang zu neuen Technologien sowie die Zusicherung für einen Abbau von Handelsschranken in anderen Exportbereichen erhalten. Bei Zuwiderhandlung kann der Streibeilegungsmechanismus der WTO angerufen werden.
Bislang hatten die Regierungen der WTO-Mitglieder die Möglichkeit, anhand sogenannter positiver Listen ausdrücklich die Dienstleistungssektoren zu bestimmen, die sie zur Liberalisierung anbieten. Ist allerdings ein Liberalisierungsprotokoll einmal abgeschlossen, kann nicht mehr zurückgetreten werden. Die Industrienationen möchten in der neuen Verhandlungsrunde diese freiwillige Wahl nochmals diskutieren und wenn möglich abschaffen.
Bemerkenswert ist, dass weitaus am meisten Verpflichtungsprotokolle im Tourismus und den sogenannt "Travel related Services" eingegangen wurden: 119 Regierungen von insgesamt 127 GATS-Unterzeichnenden haben den Tourismus explizit zur Liberalisierung angeboten.

Der Tourismus gilt heute als einer der wichtigsten und schnellst wachsenden Wirtschaftszweige der Welt. 1999 wurden gemäss Welttourismusorganisation weltweit 657 Millionen grenzüberschreitende Reisen getätigt, die insgesamt 455 Milliarden US Dollar Einnahmen brachten. Auch wenn die sogenannten Entwicklungsländer ihre Anteile am weltweiten Fremdenverkehr über die letzten Jahre steigern konnten und sicherlich damit mehr Menschen im Süden auch vom Tourismus profitierten, bleibt der Wirtschaftszweig klar von den Industrienationen dominiert: Gut die Hälfte aller touristischen Ankünfte und rund zwei Drittel der weltweiten Tourismuseinnahmen entfallen auf die Industrieländer. Die Auslandsreise bleibt einer extremen Minderheit der Menschheit vorenthalten: Nur gerade 3 bis 5 Prozent der Weltbevölkerung, so schätzt die WTO, kommt in Genuss dieses Privilegs, dies dafür oft gleich mehmals im Jahr.

Bis ins Jahr 2010 sollen die internationalen Tourismusankünfte die Milliardengrenze erreichen und die Erträge daraus sich annähernd vervierfachen. Damit empfiehlt sich der Tourismus weiterhin als erstklassiger Hoffnungsträger für sämtliche Regionen der Welt, die gegen Krise und Verschuldung ankämpfen und mit dem Fremdenverkehr Devisen zu erwirtschaften und Arbeitsplätze zu schaffen versuchen.
Die Tourismusindustrie gilt denn auch als der grösste Arbeitgeber der Welt mit weit über 100 Millionen Beschäftigten. Der Tourismus gilt aber auch als weltweit wichtigster Devisenbringer; gemäss Angaben des Internationalen Währungsfonds (IWF) lag er 1998 an der Spitze aller Exportbranchen vor der Automobilindustrie, der Chemie, der Nahrungsmittel- und der Mineralölindustrie. Der Tourismus macht insgesamt mehr als einen Drittel aller Exporte im Dienstleistungsbereich aus und nimmt besonders in Ländern der Dritten Welt oft eine wirtschaftliche Schlüsselrolle ein.

Das beeindruckende Wachstum des Tourismus ist sicherlich einerseits der stetig steigenden Nachfrage einer immer mobileren Kundschaft zuzuschreiben. Andererseits ist es klar auf verschiedene Mechanismen eines sich immer weiter liberalisierenden Marktes zurückzuführen: Die Deregulierungen im Luftverkehr haben bereits seit Jahren zu Überkapazitäten und Preiszerfall geführt. Die Dynamik hat längst auf die gesamte Tourismusbranche übergegriffen, wo unter Preisdruck und hartem Konkurrenzkampf der Konzentrationsprozess rasant voranschreitet. Die zehn grössten Reiseveranstalter Europas halten mittlerweile an die 70 Prozent des Gesamtveranstaltermarktes. Auf dem britischen Reisemarkt verfügen die fünf führenden Reisekonzerne über eigene Verkaufsketten, Fluggesellschaften, teils auch Beteiligungen an Hotels, Kreuzfahrtschiffen und lokalen Agenturen. Längst sind Unternehmen aus anderen Sektoren - aus Elektronik, Nahrungsmittelindustrie oder sogar Stahlindustrie wie im Falle der mächtigen TUI - ins gewinnträchtige Reisegeschäft eingestiegen; die Strukturen - und damit die Verantwortlichkeit - wird immer schwieriger durchschaubar. Sicher aber ist, dass auf diesem globalen Markt derjenige die Nase vorn hat, der sowohl auf die Nachfrage, die Reisenden, wie auf das Angebot, das Bündel der Deinstleistungen für die Reisenden, zugreifen kann.
Die GATS-Abkommen im Tourismus haben tendenziell die vielerorts bereits bestehende Favorisierung ausländischer Unternehmen festgeschrieben; diese können nun aufgrund der fortschreitenden Konzentrationsprozesse ihre Machtstellung laufend ausbauen. Das zeigt sich bei Verhandlungen internationaler Reisekonzerne mit lokalen Anbietern, die oft - wie auch die Welttourismusorganisation (WTO) anerkennt, sehr niedrige Margen auf ihren Hotelbetten oder Transportmitteln in Kauf nehmen müssen, wenn sie im Geschäft bleiben wollen. Ob die Gastgebenden im Gegenzug den im GATS-Abkommen verbrieften Zugang zu Technologie, etwa den elektronischen Reservationssystemen, bekommen, bleibt vorderhand eine offene Frage.
Haben sich die Gastländer bei der Unterzeichnung ihrer Liberalisierungsprotokolle explizit vergewissert, dass die Tourismusprojekte und -unternehmen Ziele einer ausgewogenen Regionalentwicklung verfolgen? Sich etwa an eine gerechte Ressourcenallokation halten, die Einheimischen den Zugang zu lebenswichtigen Grundlagen wie Wasser und Land sichert? Oder sich für Bau und Betrieb auf lokalen und regionalen Märkten eindecken, statt - wie es ausländischen Unternehmen in der Regel zugestanden wird - sich frei auf dem Weltmarkt zu approvisionieren?
Diese Kernfragen müssen dringend beantwortet werden, bevor in Neuverhandlungen weitere Schritte der Liberalisierung eingeleitet werden. Denn gerade die Verknüpfung der Dienstleistungsabkommen mit den Direktinvestitionen soll auf Bestreben der Industrieländer im Rahmen der anstehenden Verhandlungen ausgebaut werden.
Bevor es zu weiteren Verhandlungen über die Liberalisierung der tourismusrelevanten Bereiche kommt muss deshalb erst einmal eine Bestandsaufnahme der bisherigen Entwicklungen gemacht werden, um sich über die Folgen klar zu werden. Insbesondere müssten die Auswirkungen auf Arbeitsverhältnisse im Tourismus, besonders die Arbeitsbedingungen, Lohn, Ausbildung und Qualifikation geklärt werden.
Insgesamt stellt sich die Frage nach der Partizipation der Bevölkerung an Entscheiden und Erträgen im Tourismus: Wer entscheidet worüber? Wie sehen politische Entscheidungsstrukturen und Kräfteverhältnisse aus? Wer verdient wie? Und wer verliert was?


Gesamter Text:
Tourismus und Liberalisierung - Forderungen und Fragen zur neuen Verhandlungsrunde über die Dienstleistungsabkommen (GATS) im Rahmen der Welthandelsorganisation (WTO-OMC).
Positionspapier von Christine Plüss, Arbeitskreis Tourismus & Entwicklung Basel (akte), Juli 2000.



GATS Kampagne, Attac Deutschland
www.gats-kritik.de - Version vom Di, 22.07.03

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