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WTO: Geheime GATS-Dokumente der EU durchgesickert

Hochriskante Forderungen an die Adresse der Entwicklungländer

Kurzbewertung von Thomas Fritz

Heute, am 25. Februar 2002, veröffentlichte das kanadische Polaris Institut (www.polarisinstitute.org) die bisher strikt geheimen Forderungen der Europäischen Union an 109 Staaten im Rahmen der Dienstleistungsverhandlungen der Welthandelsorganisation WTO. Die durchgesickerten Dokumente enthüllen die weitreichenden und hochriskanten Forderungen der EU zur Liberalisierung und Privatisierung von Dienstleistungen in aller Welt. Darunter finden sich solche sensiblen Bereiche wie die Trinkwasser- und Energieversorgung sowie die Finanzdienstleistungen. Das GATS-Abkommen der WTO wird seit Anfang 2000 neu verhandelt und zielt auf die Marktöffnung für sämtliche Dienstleistungen in den derzeit 145 WTO-Mitgliedstaaten ab.

Von den 109 Ländern, an deren Adresse die EU ihre Liberalisierungsforderungen (sogenannte Requests) richtete, sind 94 Entwicklungs- oder Schwellenländer. Unter diesen wiederum finden sich zahlreiche der ärmsten Länder der Welt, die sogenannten Least Development Countries (LDCs). Ferner attackiert die EU auch jene Entwicklungsländer, in denen es bereits funktionierende Systeme der Erbringung unverzichtbarer Leistungen der Daseinsvorsorge gibt. Diese operieren jedoch auf nicht-kommerzieller Basis. Vielfach werden sie staatlich subventioniert und ermöglichen auch ärmeren Gruppen eine Grundversorgung. Die GATS-Requests der EU setzen diese Bereiche nicht nur unter erheblichen Privatisierungsdruck zugunsten europäischer Konzerne, sie verlangen auch einen drastischen Rückbau staatlicher Regulierungen.

Die entwicklungspolitischen Bekenntnisse von EU-Kommission und Bundesregierung erweisen sich angesichts der nun an die Öffentlichkeit gekommenen Dokumente als pure Rhetorik. Vergangene Woche noch behauptete Entwicklungsministerin Heidemarie Wieczoreck-Zeul, eine im Rahmen des GATS übernommene Liberalisierungsverpflichtung "beschränkt nicht das Recht, die Erbringung der Dienstleistungen durch nationale Vorschriften zu regulieren". Wie verträgt sich dies aber mit der Forderung der EU, die brasilianische Zentralbank solle jegliche Beschränkung des Kapitalabzugs aus Brasilien unterbinden und sich zur Subventionierung des Privatsektors verpflichten? Wie verträgt es sich mit der Forderung, Kenia müsse im Telekommunikationssektor die Höchstgrenze ausländischer Kapitalbeteiligungen von 30% beseitigen oder Ägypten solle auf Bedarfstests bei der Zulassung von Tourismus-Unternehmen verzichten?

Auch meinte Frau Wieczoreck-Zeul der "Kernbereich staatlicher Daseinsvorsorge kann und darf im Verhandlungsprozess nicht zur Disposition gestellt werden". Wie verhält sich dies aber zu der Tatsache, dass die EU von 72 der 109 Staaten die Liberalisierung der Trinkwasserversorgung fordert, ein Bereich der zweifelsohne zum Kernbereich der Daseinsvorsorge gehört, bisher aber noch gar nicht als eigenständige Kategorie im GATS erfasst war. Die Liberalisierung der Wasserversorgung in aller Welt wäre ein Dammbruch, der bisher noch nicht einmal im Europäischen Binnenmarkt erfolgt ist. Nutznießer auf deutscher Seite sind die mit knappen öffentlichen Entwicklungshilfegeldern und Exportbürgschaften gepäppelten Wasserfirmen wie RWE, AquaMundo, die E.ON-Tochter Gelsenwasser oder Berlinwasser International. Sollten die betroffenen Entwicklungsländer den EU-Forderungen Folge leisten, hieße dies, dass sie auf wichtige staatliche Regulierungen wie den Ressourcenschutz, Preisobergrenzen, Mindestanforderungen für Instandhaltungsinvestitionen, Quersubventionierungen oder Auflagen zum Anschluss der Armenviertel verzichten müssten. Jegliche staatliche Regulierung liefe Gefahr, einem sogenannten "Notwendigkeitstest" der WTO-Richter zum Opfer zu fallen.

Nicht minder problematisch der nunmehr seitens der EU in die GATS-Verhandlungen eingebrachte Energiesektor, der bisher ebenfalls nicht als eigenständige Kategorie geführt wurde. Dabei wird im Interesse von hiesigen Multis grundsätzlich keine Energieform ausgeschlossen, auch nicht der Atomstrom. Die Wunschliste der EU reicht von der Erkundung potenzieller Energiequellen, über den Bau von Anlagen und Pipelines, das Betreiben von Transport- und Übertragungsnetzen, bis hin zum Handel mit Energieprodukten.

Dramatische Folgen dürften aber auch die völlig hemmungslosen Liberalisierungsforderungen der EU im Bereich der Finanzdienstleistungen haben, vor allem im Bank- und Versicherungsgeschäft. Von Malaysia, einem Land das sich mittels seiner Kapitalverkehrskontrollen gegen die Ansteckung durch die Asienkrise immunisieren konnte, wird die Freigabe des Handels mit der inländischen Währung Ringgit gefordert. Auch soll Auslandsbanken der unbeschränkte Kauf und Verkauf von Ringgit-Reiseschecks erlaubt werden. Gerade die Einschränkung des Handels mit der eigenen Währung ist aber eine der wichtigsten Maßnahmen zur Eindämmung von Finanzkrisen. Von Thailand wird verlangt, dass Banken, die in völlig unregulierten Offshore-Zentren lizensiert sind, Zugang zum inländischen Markt erhalten. Auch viele deutsche Banken unterhalten Tochterunternehmen in unregulierten Steuerparadiesen. Von Südafrika und vielen anderen Ländern verlangt die EU, dass sie den Zweigstellen der Finanzmultis keine Eigenkapitalvorschriften machen sollen. Derartige Forderungen laufen auf eine erhebliche Destabilisierung der ohnehin krisenanfälligen Finanzsysteme in Entwicklungsländern hinaus. Angesichts des europäischen GATS-Katalogs verkümmert die verbreitete Rede von der neuen internationalen Finanzarchitektur zur Farce.

Auch die Behauptung des Staatsekretärs im federführenden Wirtschaftsminsterium, Axel Gerlach, die EU habe ihre Requests "dem Entwicklungsstand des jeweiligen Adressatenlandes angepasst", spottet jeder Beschreibung. Allein die quantitativen Dimensionen machen dies deutlich. So erhielten Ekuador und Guatemala EU-Forderungen in 11 GATS-Sektoren, die gleiche Zahl wie die hochindustrialisierten Länder Japan und Australien.

Dank der Veröffentlichung dieser Dokumente können die Bewegungen im Süden nunmehr Druck auf die eigenen Regierungen ausüben, damit sie den völlig maßlosen Forderungen der EU nicht nachgeben. Die Aufgabe von Attac ist es, sie dabei mit Widerstand gegen EU-Kommission und Bundesregierung zu unterstützen.


GATS Kampagne, Attac Deutschland
www.gats-kritik.de - Version vom Mi, 26.2.03

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