von Thomas Fritz
Attac AG Welthandel und WTO, Vorstandsmitglied BLUE 21
Auseinandersetzungen um die kommende Ministerkonferenz der WTO
Im September 2003 ist es wieder so weit. Das nächste Großereignis
der internationalen Wirtschaftspolitik, die fünfte Ministerkonferenz der
Welthandelsorganisation WTO, wird den üblichen Wanderzirkus von Regierungsvertretern,
Business-Lobbyisten, Parlamentariern und Nichtregierungsorganisationen in Bewegung
setzen. Ziel diesmal: das mexikanische Cancún, mit Hotelburgen zugepflasterter
Badeort auf der Halbinsel Yucatán.
Die Wächter des Multilateralismus
Worum geht's diesmal? Folgt man der Business-Lobby oder der Bundesregierung
so steht nichts weniger auf dem Spiel als der Multilateralismus. Das seit dem
Irak-Krieg zerrüttete transatlantische Verhältnis, der Unilateralismus
der USA und zahlreiche Handelsstreitigkeiten gefährden demnach das multilaterale
System. Und zwar so sehr, dass selbst neoliberale Trutzburgen wie die WTO um
ihren Bestand bangen müssen. Mahnend räusperte sich daher die mächtige
International Chamber of Commerce ICC anlässlich des G8-Gipfels in Evian:
"Unsere wichtigste Botschaft: Jetzt, wo der Irak-Krieg vorüber ist,
drängen wir die Regierungen, ihre Meinungsverschiedenheiten hinter sich
zu lassen und in erneuerte multilaterale Kooperation einzutreten". Die
Ministerkonferenz in Cancún müsse zu einem erfolgreichen Abschluss
der aktuellen Handelsrunde beitragen.
Auch die bundesdeutschen Grünen instrumentalisieren die von ihnen attestierte
"Krise multilateraler Politik" für platte Standortpolitik. In
ihrem Positionspapier zu Cancún warnen sie vor einem Scheitern der WTO
Konferenz in Mexiko; das wäre keine gute Nachricht, weder für den
Süden noch für uns daheim. "Jeder fünfte Arbeitsplatz in
Deutschland hängt direkt vom Welthandel ab", rechnet die Öko-Partei
vor und bläst zur Exportoffensive: "Verbesserungen des Marktzugangs
für die exportorientierte deutsche Wirtschaft, z.B. durch Abbau von Zöllen
und die Öffnung neuer Märkte für deutsche Dienstleistungen, können
erhebliche Wachstums- und Beschäftigungsimpulse bringen". Daher ihr
leidenschaftliches Bekenntnis: "Wir wollen einen Erfolg der laufenden WTO
Runde".
Durchbruch in Doha
Aber sind die von Grünen und Industrie artikulierten Sorgen überhaupt
berechtigt, was die Erfolgsaussichten von Cancún angeht? Sah die Welt
der Neoliberalen denn nicht sehr rosig aus, als nach dem blamablen Scheitern
des WTO-Treffens von Seattle bei der Folgekonferenz in Doha 2001 die Einigung
auf eine neue Handelsrunde gelang? Freudig erregt verkündete seinerzeit
EU-Handelskommissar Lamy: "Vor Seattle war der Zug beinahe entgleist. Jetzt
aber ist die WTO wieder zurück auf den Schienen." Auch gelang es dem
gewieften Franzosen, viele Interessen des europäischen Kapitals in die
euphemistisch "Doha Development Round" (DDR) getaufte Handelsrunde
einzubringen. Denn neben den bereits laufenden Verhandlungen zu Landwirtschaft,
Patentschutz und Dienstleistungen vereinbarte man äußerst umstrittene
Vorgespräche über die sog. neuen Themen Investitionen, Wettbewerb
und Staatsaufträge. Über deren Fortführung soll endgültig
aber erst in Cancún entschieden werden. Gerade gegen die Aufnahme von
Investitionsverhandlungen hatte eine Reihe von Ländern, darunter Indien,
bis zuletzt heftig opponiert. Sie befürchteten eine Neuauflage des 1998
nach heftigen Protesten gescheiterten Investitionsschutzabkommens MAI.
Ohne den Einsatz drastischer Druckmittel gegenüber unwilligen Delegationen
kam man aber auch in Doha nicht aus. Zahlreiche Diplomaten aus dem Süden
beklagten sich über Einschüchterungsversuche der EU und der USA. Während
der US-amerikanische Repressionskatalog die Streichung von Entwicklungshilfezahlungen
sowie das Führen schwarzer Listen "anti-amerikanischer Länder"
umfasste, drohten Beamte der EU-Kommission missliebigen Ländern mit der
Aussetzung von Handelsvergünstigungen.
Blockaden in Genf
Anfang 2002 wurde die Doha Runde offiziell eingeläutet, die äußerst
optimistische Zielmarke für ihren Abschluss ist der 1. Januar 2005. Dass
dieses Datum jedoch gehalten werden kann, daran mehren sich die Zweifel. Seit
rund einem Jahr stocken die Verhandlungen in vielen Bereichen. So scheiterte
im Dezember vergangenen Jahres eine Einigung über die Lockerung des Patentschutz-Abkommens
TRIPS an der Blockade der USA. Indien, Brasilien und zahlreiche weitere Länder
setzen sich für eine erleichterte Aussetzung von Patenten auf Markenmedikamente
ein, sodass Zwangslizenzen nicht nur an inländische, sondern auch ausländische
Hersteller günstiger Nachahmerprodukte (sog. Generika) vergeben werden
können. Diese Forderung ist für all jene Länder überaus
wichtig, die über keine eigene Pharmaindustrie verfügen und daher
auf den Import von Generika angewiesen sind. Die USA wollen diese Möglichkeit
aber auf Medikamente zur Behandlung lediglich dreier Krankheiten beschränken:
Aids, Malaria und Tuberkulose. Den damit unzufriedenen Delegationen in Genf
teilten US-Vertreter mit, sie sollten sich mit ihren Klagen doch direkt an die
Pharmamultis wenden.
Zuvor erzürnten die USA ihre Handelspartner bereits mit der einseitigen
Erhöhung der Zölle auf Stahlimporte und mit der drastischen Steigerung
ihrer Agrarsubventionen. Die EU allerdings verfügt mit der erfolgreichen
WTO-Klage gegen Steuersubventionen für US-amerikanische Exporteure (sog.
Foreign Sales Corporations - FSC) über ein beträchtliches Druckmittel.
Sie darf nun Strafzölle auf US-Güter in Höhe von vier Mrd. US$
jährlich erheben, die größte Schadenssumme in der bisherigen
WTO-Geschichte. Die Reaktion der USA ließ nicht lang auf sich warten.
Im Mai dieses Jahres beantragten sie ein Verfahren gegen das europäische
de-facto Moratorium auf den Import und Anbau von gentechnisch manipulierten
Organismen (GMOs). Zwar leugnete der US-Handelsbeauftragte Robert Zoellick jegliche
Verbindung zum verlorenen FSC-Fall, allerdings wunderte sich nicht nur EU-Kommissar
Lamy über die US-Motive. Denn noch in diesem Jahr steht die Annahme neuer
EU-Direktiven über die Zulassung und Kennzeichnung von Genfraß an,
mit denen dann auch das Moratorium beendet wird. Dessen Fall wünscht sich
aber nicht nur die nordamerikanische Agrarlobby, sondern auch die europäische
Biotech-Industrie. Für deren Interessen wiederum hat Wirtschaftsminister
Clement stets ein offenes Ohr. Entsprechend verlangte er auf seiner USA-Reise
im Mai, Brüssel müsse das Gen-Moratorium "dringend aufheben".
Nichtregierungsorganisationen dagegen geißelten die US-Klage und erwarten
einen weiteren Imageschaden für die WTO. "Dieser Fall wird ein erstklassiges
Beispiel für die weltweite Attacke auf die Legitimität der WTO abgeben",
orakelt Lori Wallach vom Verbraucherverband Public Citizen.
Fataler "trade off"
Im besonders sensiblen Agrarbereich gelang den WTO-Mitgliedern nicht einmal
eine Einigung auf Verhandlungsmodalitäten, die im März dieses Jahres
fällig gewesen wären. Heftigen Streit gibt es darüber, inwieweit
bestimmte "strategische Produkte" durch höhere Zollschranken
geschützt werden dürfen. Die Auseinandersetzungen finden zudem vor
dem Hintergrund statt, dass die für Dumpingexporte in den Süden verantwortlichen
Subventionen keineswegs zurückgefahren werden. Wärend die US-Beihilfen
mit der letztjährigen "farm bill" auf über 80 Mrd. US$ in
den kommenden Jahren steigen sollen, wird auch die am 26. Juni verkündete
Reform der EU-Agrarpolitik die hiesigen Zahlungen von 43 Mrd. € nicht nur
bis zum Jahr 2013 fortschreiben, sondern sie zwischenzeitlich noch ansteigen
lassen. Die Reform besteht im Wesentlichen darin, einen Teil der Subventionen
von der Produktion zu entkoppeln und in direkte Einkommensbeihilfen an die Landwirte
umzuwandeln. Damit sinkt allerdings weder das Subventionsniveau noch der Dumpingeffekt.
Dennoch verkauft die EU-Kommission diese Einigung als großen Sprung nach
vorn. "Eine gigantische Public Relations Kampagne kommt in Gang",
so die Agrarexpertin Aileen Kwa. Sie befürchtet, dass die Kommission diese
bescheidene Reform als Druckmittel in der WTO benutzen wird, und zwar nicht
nur im Agrarbereich: "Der EU-Handelskommissar wird diese Gelegenheit nutzen,
um auf beschleunigte Liberalisierung im Dienstleistungssektor zu drängen."
Tatsächlich sorgen sich mittlerweile immer mehr AktivistInnen über
diesen fatalen Verhandlungsmechanismus. Die brasilianische Ökonomin Sandra
Quintela berichtet über Kräfte in ihrem Land, die die Übernahme
von Liberalisierungsverpflichtungen unter dem Dienstleistungsabkommen GATS verlangen:
"Davon erhoffen sich manche erleichterten Marktzugang für brasilianische
Agrarexporte in die EU." Die Folge wäre aber eine forcierte Privatisierung
öffentlicher Aufgaben, die den Zugang zu Bildung, Gesundheits- oder Wasserversorgung
für marginalisierte Gruppen weiter verschlechtert. Gerade die EU richtete
äußerst aggressive GATS-Forderungen zugunsten europäischer Konzerne
an 109 Staaten. Diese Logik des "trade off" produziert immer Verlierer;
sie nährt berechtigte Zweifel an der Reformierbarkeit der WTO.
Einbindung oder Widerstand
Das mögliche Scheitern in Cancún vor Augen blieb der WTO-Chef,
der Thailänder Supachai Panitchpakdi, aber nicht untätig. Um zumindest
das ramponierte Image seiner Organisation aufzupolieren, richtete er kürzlich
zwei Beratungsgremien ein. In einem nehmen die Vertreter des Großkapitals
Platz, das andere wurde für handverlesene Nichtregierungsorganisationen
eingerichtet. Ihm gehören z.B. der Wordwide Fund for Nature WWF, das Third
World Network und der Internationale Bund Freier Gewerkschaften an. Dieser Vorgang
hat zu heftigen Kontroversen in der NGO-Landschaft geführt. Walden Bello,
Direktor von Focus on the Global South, schimpft: "Diese Idee ist nichts
weiter als ein Trojanisches Pferd, platziert mit dem Ziel unserer Spaltung und
der Aufwertung einer Institution der globalen kapitalistischen Elite, die sich
in einer irreversiblen Legitimitätskrise befindet." Auch käme
es nicht in Betracht, sich an die Seite der Konkurrenten der USA zu stellen,
um den Multilateralismus zu retten. Vielmehr solle die verschärfte inner-imperialistische
Konkurrenz genutzt werden, um die Macht der WTO zu brechen. Bello fordert: "Die
kollektive Aufgabe besteht darin, die Ministerkonferenz von Cancún entgleisen
zu lassen."
Auf dieses gemeinsame Ziel ("Derail the Fifth Ministerial of the WTO!")
hatte sich im Mai bereits eine internationale Versammlung in Mexiko-Stadt verständigt.
Die WTO-kritischen Bewegungen rufen zu weltweiten Aktionstagen vom 7. bis 14.
September auf. Ihr Urteil ist vernichtend: "Es reicht. Acht Jahre WTO sind
genug."
Thomas Fritz
Attac AG Welthandel und WTO, Vorstandsmitglied BLUE 21
Dieser Artikel erschien in leicht veränderter Form in:
Lateinamerika Nachrichten, Nr. 349/350, Jg. 31, Juli/August 2003, S. 32-34
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