Die GATS-Verhandlungen der 145 WTO-Mitgliedsländer beziehen sich auf
Dienstleistungen aller Art. Dazu gehören auch klassische öffentliche
Dienstleistungen wie Gesundheit, Wasserversorgung und eben Bildung.
Wie Bildung zur Ware wird
Von David Hachfeld
18. Juni 2002, Düsseldorf: 30.000 Studierende aus ganz Nordrhein-Westfalen protestieren
gegen die Landesregierung, sie durchbrechen die Bannmeile und blockieren den Landtag.
Einigen gelingt es sogar, in das Gebäude einzudringen, in dem das Landesparlament über
die Einführung von Studiengebühren diskutiert. Doch scheint der Kampf gegen die drohenden
Gebühren nur ein Teil ihres Protests zu sein: auf ihren Transparenten stehen nicht nur
Slogans gegen Studiengebühren, sondern auch: "Bildung ist keine Ware", "Wir sind keine
Konsumenten" und "Stoppt GATS".
Bildung als Ware? Studenten als Konsumenten? Was soll das heißen? Wie kommt man
überhaupt darauf, dass Bildung eine Handelsware, ein käufliches Produkt sein könnte?
Doch die Demonstranten wissen, warum sie diese Forderungen auf ihre Plakate geschrieben
haben. Was auf den ersten Blick absurd klingen mag, ist längst Realität. Bildung ist zu
einer Ware geworden, mit deren Vertrieb viel Geld verdient wird. Um das zu verstehen,
lohnt es sich, die Entwicklungen der letzten 20 Jahre genauer unter die Lupe zu nehmen.
Rückblick
Die Transformation des öffentlichen Bildungswesen in einen auf Profit ausgerichteten
Dienstleistungssektor beginnt im Großbritannien der 80er Jahre: mit der Wahl Margaret
Thatchers zur Premierministerin erfährt der Bildungssektor wie auch alle anderen Bereiche
der öffentlichen Daseinsfürsorge eine radikale Neuausrichtung nach neoliberalem Muster.
Am stärksten treten diese Veränderungen im Hochschulbereich in Erscheinung.
Thatcher sorgt dafür, dass die öffentliche Finanzierung der Universitäten drastisch
runtergefahren wird. Gleichzeitig erhöhen sich die Studiengebühren ausländischer
Studenten: sie sollen sich künftig an der Marktlage orientieren, jedoch mindestens
die Gesamtkosten des jeweiligen Studienplatzes abdecken. Ausländische Studenten
entwickeln sich so zu einer Einnahmequelle für die durch massive Kürzungen
belasteten Bildungseinrichtungen. In den folgenden Jahren verstärkt sich insbesondere
durch die Vereinheitlichung des Hochschulwesens der Kampf der einzelnen Einrichtungen
um "Marktanteile". Mit ausgefeilten Werbekampagnen und Rekrutierungsbüros in den
Hauptherkunftsländern wird um die Kunden gerungen. Die Hochschulen werden gezwungen,
sich stärker an Managementkriterien zu orientieren und auch das Vokabular verändert sich:
die Ausbildung soll vor allem effizient sein, die Kosten, die das Studium eines Studenten
verursacht, werden in der unternehmerischen Sprache zu "Stückkosten", die es zu
reduzieren gilt, und das Profil der Bildungseinrichtungen soll stärker vom Markt
und den möglichen Gewinnchancen bestimmt werden. Genauso wie Studierende Kunden werden,
werden die Hochschulen marktförmige Unternehmen.
Dimensionen
In den letzten 20 Jahren hat sich die Zahl der in Großbritannien studierenden Ausländer
mehr als verdreifacht, in Australien war der Zuwachs noch stärker. Dort machen
die Studiengebühren ausländischer Studierender inzwischen durchschnittlich 7% der
Universitätshaushalte aus, in manchen Einrichtungen liegt dieser Anteil sogar bei
einem Drittel. Bildung ist in dem südpazifischen Land mit einem Umfang von
3,15 Mrd. A$ (etwa 1,79 Mrd. Euro, Stand 1998/99) inzwischen der achtgrößte
Exportsektor, denn das profitorientierte Angebot für ausländische Studierende gilt als
Export.
Der Bildungsexport beschränkt sich jedoch nicht auf Menschen, die im Ausland studieren.
Vor allem in den letzten Jahren haben Bildungsanbieter angefangen, ihr Angebot
kommerziell direkt im Ausland anzubieten.
Ein großer Teil dieser Exporte findet über das Internet statt. So bietet
beispielsweise die University of Southern Queensland einen Teil ihres Angebots
auch als Fernstudium an. Daneben gibt es eine ganze Reihe von Anbietern,
dies ausschließlich Fernprogramme anbieten. So kauft die Cardean University,
die von der börsennotierten U.Next.com betrieben wird, Studienprogramme von
renommierten Universitäten und bietet diese dann gewinnbringend über das Internet
an. Cardean University existiert also nur virtuell als Bildungszwischenhändler.
Studiengänge werden inzwischen auch direkt im Ausland als sogenannte
"offshore"-Programme angeboten. Einige Hochschulen eröffnen Filialen in anderen
Ländern (Branch-Campus). So betreiben beispielsweise das Royal Melbourne Institute
of Technology (RMIT) einen Campus in Malaysia und die RWTH Aachen einen in Thailand,
um damit die Zahl ihrer zahlenden Studierende zu erhöhen, also ihren Marktanteil
zu erhöhen.
Eine häufiger gewählte Form des "offshore" Angebots ist das Franchising. Dabei
bietet eine lokale Universität einen Studiengang unter dem Namen einer
ausländischen Universität an, die dafür einen Teil der Studiengebühren bekommt.
Dieser knappe Abriss über einige Formen des Bildungshandels macht deutlich, dass
Bildung längst zu einer Ware geworden ist, mit deren Vertreib viel Geld verdient wird.
Trotzdem sind die Entwicklungen der letzten Jahre in den Augen der Bildungsexporteure
nur der Anfang einer grundlegenden Umgestaltung des Bildungswesens und der Schaffung
eines Bildungs-Weltmarkts. Bisher konzentrieren sich die Exporte auf den
Hochschul- und den Weiterbildungsbereich, Absatzmarkt ist vor allem Süd-Ost Asien.
Der Gesamtumsatz der exportierten höheren Bildung belief sich 1995 auf 27 Mrd. US$.
Die weltweiten Bildungsausgaben werden jedoch auf über 2 Billionen US$ jährlich
geschätzt, wobei der bei weitem überwiegende Teil dieser Dienstleistungen bisher
öffentlich organisiert und damit nicht auf Profitmaximierung ausgerichtet ist.
Von der Umgestaltung des gesamten Bildungswesens nach marktwirtschaftlichen
Kriterien versprechen sich Bildungsanbieter und Kapitalanlagefirmen hohe Profite.
Das große Interesse an der Kommerzialisierung und Liberalisierung des Bildungssektors
erklärt sich genau dadurch: wenn Bildung zur Ware gemacht wird und weltweit gehandelt
werden kann, dann lässt sich damit auch Geld verdienen, und zwar nicht gerade wenig.
Das GATS-Abkommen als Druckmittel
Ein Mittel, um diese Kommerzialisierung voranzutreiben, ist das GATS (General
Agreement on Trade in Services). Dieses Abkommen der Welthandelsorganisation WTO
soll den Handel mit Dienstleistungen weltweit liberalisieren und handelsbehindernde
Regulierungen abbauen.
Zur Zeit wird das GATS neu verhandelt. Konzentrierte es sich bisher auf
Dienstleistungssektoren, die vorwiegend in privater Hand sind, so geht es nun
um die Einbeziehung von bisher vorwiegend staatlich geleisteten Dienstleistungen
wie Gesundheit und Bildung.
Wird Bildung dem GATS unterstellt, so beginnt in diesem Bereich der Wettbewerb unter
den verschieden Anbietern. Das Prinzip der Marktöffnung sorgt dafür, dass
jeder Bildungsanbieter unbeschränkt seine Dienstleistungen auf den Markt bringen
und Tochterunternehmen oder Filialen in anderen Ländern gründen kann. Das Prinzip,
dass alle Unternehmen, inländische wie ausländische, gleichgestellt werden müssen,
sorgt dafür, dass staatliche Zuschüsse nur noch dann möglich sind, wenn sie
jeder Anbieter bekommt, egal ob transnationaler Bildungskonzern oder Dorfschule.
Bildungseinrichtungen, die nicht auf Profit ausgelegt sind, wird es dann kaum noch geben.
Situation in Deutschland
Die Kommerzialisierung des Bildungswesens ist in Deutschland noch nicht sehr
weit fortgeschritten. Zwar gibt es inzwischen eine ganze Reihe von kommerziellen
Anbietern wie zum Beispiel die GISMA in Hannover, eine Tochter der Krannert
Graduate School of Management der Purdue University, doch führen diese bisher
eher ein Nischendasein.
In einer Studie des konzernnahen Centrum für Hochschulentwicklung (CHE) und des
Deutschen Akademischen Austauschdienstes (DAAD) werden dafür vor allem zwei
Gründe genannt: das öffentliche Bildungswesen ist qualitativ und quantitativ zu
gut ausgebaut und bietet kaum Lücken oder Engpässe, in die ein privater Anbieter
vordringen könnte. Der zweite Grund ist die immer noch nicht vollständig
abgeschaffte Gebührenfreiheit des Studiums in Deutschland. Würde das GATS für
den Bildungssektor uneingeschränkt gelten, würde sich das schnell ändern. Eine
kostenloses, qualitativ hochwertiges Studium würden es dann nicht mehr geben.
Doch was passiert, wenn Bildung zur Ware wird?
Mit der Umgestaltung des Bildungswesens nach marktwirtschaftlichen Kriterien hat sich
auch der Bildungsbegriff verändert. Galt Bildung im 19. und 20. Jahrhundert -
zumindest der Idee nach - als grundlegendes Menschen- und Bürgerrecht und als Bedingung
der persönlichen Entfaltung des Einzelnen, so wird heute ein anderer, der
neoliberalen Ideologie entsprechender Bildungsbegriff propagiert: Bildung als
Investition. Dieser Ideologie folgend muss jeder Mensch selbst bestimmen, wie viel
Geld er in seine Ausbildung oder in die seiner Kinder investieren will. Je mehr
investiert wird, so wird suggeriert, um so mehr wird man später durch eine höhere
Berufsstellung und ein entsprechend größeres Einkommen herausbekommen. Am weitesten
fortgeschritten ist diese Vorstellung von Bildung wohl in den USA. Wer es sich
leisten kann, richtet bei der Geburt seiner Kinder Sparprogramme ein, wie z.B. das
Coverdell Education Savings Account (ESA). Jährlich wird eine Summe von bis
zu 2.000 US$ eingezahlt, die dann für die Ausbildungskosten zur Verfügung stehen.
Der Großteil der amerikanischen Studierenden muss das Studium jedoch über Kredite
finanzieren. Steigende Studiengebühren haben inzwischen dazu geführt, dass ein
Collegeabschluss für viele Familien mit geringem Einkommen praktisch unbezahlbar
geworden und auch ein wachsender Teil der Mittelschicht in den Sog der Verschuldung
geraten ist. Der Druck auf die Studierenden, ihr Studienfach vor allem nach den
späteren Verdienstmöglichkeiten auszuwählen, ist daher enorm, schließlich muss sich
die Investition ja lohnen.
Der Ideologie, die Bildung als eine käufliche Ware und als Investition versteht,
liegt ein sehr beschränktes und problematisches Menschenbild zugrunde: der Mensch
als homo oeconomicus, dessen Ziel es ist, mehr zu bekommen: mehr Geld, mehr Profit,
mehr Lohn. Der Mensch wird hauptsächlich in seiner Funktion als egoistisches
Wirtschaftssubjekt gesehen. Doch einen solchen Menschen gibt es zum Glück nicht.
Eine Ideologie, die dennoch versucht, einen Menschen auf diese Eigenschaften zu
reduzieren, ist gefährlich, ein Bildungssystem, das dieser Logik folgt, dient
nicht den Menschen, sondern der Profitmaximierung.
Wenn Bildung keine Ware, sondern ein elementares Menschenrecht sein soll, zu
dem jeder Mensch gleichberechtigten und freien Zugang hat, ist es allerhöchste
Zeit, aktiv zu werden. Dies gilt jedoch nicht nur für SchülerInnen und
Studierende, sondern für alle, die nicht in einer Welt leben wollen, die für einen
Menschen geschaffen ist, den es nicht gibt.
Bildung ist ein Menschenrecht, keine Ware!
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