Auswertung der Briefaktion zum GATS

Pic1

Argumente der Abgeordneten:
Eine Durchsicht der Antworten der MdBs ergab, dass sich ihre Stellungnahmen zum GATS - auch über Parteigrenzen hinweg stark ähneln. Der Grundtenor der Antworten ist, dass die Besorgnisse von attac übertrieben seien. Die Bereiche der öffentlichen Daseinsvorsorge seien durch das GATS nicht gefährdet. Im Folgenden werden die einzelnen identifizierten Argumente der PolitikerInnen aufgelistet:

1. öffentlichen Daseinsfürsorge ist kein Gegenstand der GATS-Verhandlungen
Behauptung: Die EU habe die Bereiche der öffentlichen Daseinsvorsorge nicht in die Ver-handlungen mit aufgenommen. Dies steht auch in einem Beschluss des Bundestages vom 13.3.2003, auf den insbesondere viele SPD-ParlamentarierInnen hinweisen. In diesem Beschluss begrüßt der Bundestag, dass die EU-Kommission die Bildung, Kultur und Audiovisuelle Dienstleistungen von den Liberalisierungsverhandlungen ausgenommen habe.
Richtigstellung: Kurz gesagt beruhen diese Äußerungen auf einer Verwechselung der Verhandlungsangebote mit dem Verhandlungsergebnis. Die EU hat in den Bereiche Bildung, Kultur, Audiovisuelle Dienstleistungen, Wasserversorgung und Gesundheitsdienstleistungen tatsächlich keine eigenen Liberalisierungsangebote vorgelegt. Sie forderte aber von zahlreiche Drittstaaten Liberalisierungen im Bildungs- und im Wassersektor. Nun ist es allgemein bei Verhandlungen üblich, zunächst einmal nicht "alle Karten auf den Tisch zu legen". Es ist also wahrscheinlich, dass nicht in allem Bereichen, wo die EU zu Zugeständnissen bereit ist, von vornherein Angebote unterbreitet werden. Da die EU von anderen Ländern Liberalisierungen des Bildungs- und Wassersektors fordert, ist es nur selbstverständlich, dass sie auch dazu bereit ist, in diesen Sektoren weitere Zugeständnisse zu machen.
Die EU kann sich auch nicht darauf berufen, dass sie bereits in der ersten Verhandlungsrunde zum GATS z.B. im Bildungssektor größere Zugeständnisse gemacht habe, und dass jetzt die anderen an der Reihe seien. Denn die Liberalisierungen der ersten GATS-Runde waren ein großes Gesamtpaket, wo Zugeständnisse und Angebote in den unterschiedlichen Sektoren genau ausgewogen waren.
Im übrigen sagen weder die EU Kommission, noch die Bundesregierung oder die CDU/CSU, dass sie weitere Liberalisierungen in den Sektoren der öffentlichen Daseinsvorsorge kategorisch ausschließen. Auch der Europaparlamentarier Rolf Linkohr (SPD) glaubt, dass die EU-Kommission auch in diesem Bereich zu weitreichenden Zugeständnissen bereit ist.

2. Die Forderungen der EU sind entwicklungspolitisch vertretbar
Behauptung: Hans-Martin Bury (SPD), Staatsminister beim Bundesminister des Auswärtigen, schrieb, die Forderungen der EU an viele Entwicklungsländer für eine Liberalisierung der Wasserversorgung seien entwicklungspolitisch vertretbar. Zitat: "Durch die Liberalisierung im Rahmen von GATS kann z. B. in Ländern, in denen öffentliche Systeme eine hinreichende Wasserversorgung nicht gewährleisten, ausländisches Kapital und Know How bereitgestellt werden…. Das Recht der Staaten, in einem bereits privatisierten Sektor Auflagen zu Leis-tungsqualität, Preisen etc. zu erteilen, wird durch GATS nicht angetastet."
Richtigstellung: Bereits durchgeführte Privatisierungen der Wasserversorgung in Entwick-lungsländern führten fast durchgängig zu Preissteigerungen und einer Verschlechterung der Wasserqualität. Nur in seltenen Fällen wurde im Fall von Privatisierungen ausländisches Ka-pital in die Wasserversorgung investiert. In Tansania wurde die Regierung sogar vom IWF dazu gezwungen, das marode Wasserleitungsnetz von Dar-es-salam auf eigene Kosten zu renovieren, bevor es an einen ausländischen "Investor" verkauft wurde. Es ist eine Illusion zu glauben, dass gerade die schwachen Staatsapparate der Dritten Welt in der Lage sind, private Firmen hinsichtlich der Leistungsqualität und der Preise zu kontrollieren.

3. Die Drittländer können die Forderungen der EU auch ablehnen
Behauptung: "Auch bleibt es einem Land unbenommen, Liberalisierungsforderungen anderer Staaten abzulehnen." (Hans-Martin Bury)
Richtigstellung: Im Rahmen der GATS-Verhandlungen wird gerade auf Entwicklungsländer ein enormer Druck ausgeübt, ihre Märkte zu öffnen. Häufig sind sie nicht in der Lage, sich diesen Forderungen zu widersetzen. Erschwerend kommt hinzu, dass die herrschenden Klassen dieser Länder häufig nicht die Interessen der Bevölkerung, sondern nur ihre eigenen im Blick haben.
Auch von den Regierungen vieler Industrieländer werden internationale Verhandlungen häufig dazu genutzt, um den heimischen Widerstand gegen unpopuläre Liberalisierungsvorhaben auszuhebeln. Durch internationale Verträge wird so ein "Sachzwang" geschaffen, dem man sich angeblich nicht entziehen kann.

4. hoheitliche Gewalt
Behauptung: Dienstleistungen, die in Ausübung hoheitlicher Gewalt erbracht werden, sind vom Geltungsbereich des GATS ausgenommen (GATS, Art I,3).
Richtigstellung: Dies trifft zu, aber es ist kein Grund zur Beruhigung, wie von CDU und SPD häufig suggeriert wird. Denn die Dienstleistungen der öffentlichen Daseinsvorsorge wie Bildung, Gesundheit und Wasserversorgung fallen gerade nicht unter diesen Artikel. Denn er ist nur dann anzuwenden, wenn Dienstleistungen nicht auf einer kommerziellen Basis erbracht werden und diese Dienstleistungserbringer nicht im Wettbewerb mit privaten Unternehmen stehen. Letzteres ist aber beim Gesundheits- und Bildungswesen sowie bei der Wasserversorgung unzweifelhaft der Fall. Denn hier koexistieren private und öffentliche Anbieter dieser Dienstleistungen, die potentiell in Konkurrenz zueinander stehen.
Das WTO Council for Trade in Services stellte bereits 1998 klar, dass der entsprechende Artikel eng auszulegen sei (vgl. Jessica Woodroffe: GATS: A Disservice to the Poor, S. 34f). Insofern ist es sehr wahrscheinlich, dass spätestens WTO-Streitschlichtungsorgane feststellen werden, dass diese Sektoren vollständig den GATS-Regeln unterliegen. Dies würde sich nur ändern, wenn ein höherrangiges WTO-Gremium den Artikel I,3 anders interpretierte.

5. Horizontale Ausnahmen in der Länderliste
Behauptung: Die EU hat in den Länderlisten unter der Rubrik "Horizontale Verpflichtungen" eine Ausnahme eintragen lassen. Diese bezieht sich auf alle Dienstleistungen, die auf nationaler oder örtlicher Ebene als öffentliche Aufgaben betrachtet werden. Hier ist der Marktzugang eingeschränkt. Diese Dienstleistungen können staatlichen Monopolen oder ausschließlichen Rechten privater Betreiber unterliegen. Zusätzlich haben ausländische Anbieter in diesen Sektoren keinen Rechtsanspruch auf Subventionen, die den staatlichen Unternehmen zustehen. Hierdurch ist z.B. das Bildungswesen gegen eine weitgehende Liberalisierung geschützt.
Richtigstellung: Diese Behauptung ist zutreffend. Aber es gibt keinerlei Garantie, dass diese horizontale Ausnahme auch nach der aktuellen Verhandlungsrunde noch existiert. Denn die EU-Kommission steht unter einem enormen Druck, diese Ausnahme aufzuheben.
Denn einerseits bezeichnet GATS-Übereinkommen Subventionen als Ursache von Verzer-rungen im Dienstleistungshandel und bestimmt, dass sie in der Regel nur noch für einen begrenzten Zeitraum zulässig sind. Dieser Zeitraum soll die Frist von zehn Jahren in der Regel nicht überschreiten und würde eigentlich im Jahr 2005 auslaufen.
Andererseits haben auch zahlreiche Staaten die Aufhebung dieser Ausnahmeklausel bereits explizit gefordert, darunter vermutlich auch die USA. In diesem Fall würde z.B. Bildungswesen behandelt werden, wie eine beliebige andere Dienstleistung.
Zudem hat die EU-Kommission in der Vergangenheit schon häufiger die Anwendung der europäischen Wettbewerbsregeln auf den Bildungssektor gefordert. Dies hätte eine ähnliche Wirkung, wie die Aufhebung der Ausnahmeklausel. Dieser Plan scheiterte bisher am Widerstand einiger Mitgliedsländer. Möglicherweise versucht die EU-Kommission über das GATS, diese Vorbehalte auszuhebeln, um damit auch unpopuläre und ansonsten nur schwer durchsetzbare Liberalisierungen zu ermöglichen. Zudem würde sie auf diese Weise auch neue Kompetenzen erhalten.
Außerdem ist diese Ausnahmeklausel im englischen Original sehr verschwommen formuliert. Denn hier werden die öffentlichen Aufgaben als "public utilities" bezeichnet. Diese Verschwommenheit fordert eine Klage vor den WTO Streitschlichtungsausschüssen geradezu heraus. Es ist unwahrscheinlich, dass die EU einen entsprechenden Fall vor diesen sehr han-delsfreundlich entscheidenden Gremien gewinnen kann.

6. Transparenz der Verhandlungen
Einige ParlamentarierInnen wie Walter Hoffmann (SPD) aus Darmstadt behaupten, die Öffentlichkeit sei hinreichend über die Verhandlungen unterrichtet worden. Sie verweisen dabei insbesondere auf die Websites der WTO und der EU. Auch Hans-Martin Bury (SPD), Staats-minister beim Bundesminister des Auswärtigen, behauptete, auch die "interessierte Zivilgesellschaft" habe in den letzten Monaten zu den Forderungen der EU an Drittländer Stellung nehmen können. Sie hätte nur Vertraulichkeit zusichern müssen.
Die meisten MdBs der SPD kritisieren aber die unzureichende Unterrichtung der Öffentlichkeit und des Parlaments über den Verlauf der Verhandlungen. Sie verweisen gelegentlich auf den Bundestagsbeschluss vom 13.3.2003, der auch diese Intransparenz kritisiert. Es ist aber unklar, was konkret aus diesem Beschluss folgt und auf welche Weise der Bundestag über die aktuellen Verhandlungen unterrichtet wird. Kein CDU-MdB hat bis heute die Intransparenz der Verhandlungen kritisiert.
Christian Lange (SPD) fordert darüber hinaus, dass die EU keine weiteren Liberalisierungsverpflichtungen eingehen soll, bevor die voraussichtlichen Folgen dieser Liberalisierung un-tersucht und in der Öffentlichkeit diskutiert wurden. Diese Forderung wird aber von keinem anderen Abgeordneten geäußert.

7. Stopp der Verhandlungen
Die Forderung nach einem Stopp der Verhandlungen wird von Ditmar Staffelt (SPD), Parlamentarischer Staatssekretär im Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeit, kategorisch abgelehnt. Alle Teilnehmerstaaten des WTO-Gipfels in Doha vom November 2001 (also auch die Bundesregierung) waren sich nach seinen Worten darin einig, Verhandlungen zum GATS in die neue Handelsrunde einzubeziehen.

Zusammenfassung der Argumentation der CDU/CSU: Sie sagt im wesentlichen, dass die Systeme der öffentlichen Daseinsvorsorge, die sie selbst scheinbar befürwortet, auch durch die GATS-Verhandlungen nicht angetastet werden. Jedoch ist ihre Argumentation nicht plausibel. Gerade diese leicht zu durchschauenden Beschwichtigungen wecken die Besorgnis, dass es ihr sehr wohl um eine Zerschlagung und Privatisierung der öffentlichen Dienstleistungen geht.

Zusammenfassung der Argumentation der SPD: Auch von den SPD-ParlamentarierInnen wird behauptet, die Systeme der öffentlichen Daseinsvorsorge seien durch das GATS nicht in Gefahr. Auf die zunehmende Kritik der sozialen Bewegungen am an der Intransparenz der Verhandlungen reagierte rot-grün zusätzlich mit einem unverbindlichen Bundestagsbeschluss, der vermutlich ohne Folgen bleiben wird.
Zugleich wird behauptet, die EU-Forderungen, denen die Bundesregierung zugestimmt hat, seien auch entwicklungspolitisch vertretbar.

ak Weltwirtschaft und WTO, attac Marburg


GATS Kampagne, Attac Deutschland
www.gats-kritik.de - Version vom Fr, 02.03.03

Attac Deutschland, www.attac.de
Münchner Str. 48 , 60329 Frankfurt
Tel.: +49 (0)69/900281-10, Fax -99
info@attac.de

URL: www.attac.de/gats/brief/auswertung.php