Berlin, am 20. März 2003
GATS-Verhandlungen / Ihr Schreiben vom 14. Januar 2003
Sehr geehrter Herr Fritz,
im Januar haben wir uns bereits in einem Gespräch gemeinsam
mit dem SPDBundestagsabgeordneten Ernst Ulrich von Weizsäcker
zum Thema GATS auseinandergesetzt. Ich stellte dabei fest, dass
unsere Einschätzungen sehr nahe beieinander liegen.
Inzwischen haben wir mehrere Bundestagsanträge eingebracht,
die Ihnen sicherlich schon bekannt sind. Darüber hinaus füge
ich diesem Schreiben eine Pressemitteilung unserer Entwicklungsministerin
vom 13. März 2003 mit bei, die Sie vielleicht auch schon kennen.
Darüber hinaus möchte Ihnen noch einen WTO-Agrarantrag
und meine zu Protokoll gegebene Rede zur Kenntnis geben. Dieser
Antrag wird in den kommenden Wochen erneut im Bundestag debattiert
und verabschiedet werden.
Mit freundlichen Grüßen
Dr. Sascha Raabe
Anlagen:
Pressemitteilung vorn 14.03.2003
Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung
Wieczorek-Zeul: "Die GATS-Verhandlungen müssen transparent
geführt werden"
"Die Verhandlungen über die Liberalisierung des Handels
mit Dienstleistungen müssen transparent gestaltet werden",
betonte Bundesentwicklungsministerin Wieczorek-Zeul. Nur wenn über
die Verhandlungen und deren mögliche Konsequenzen öffentlich
diskutiert werde, könne sichergestellt werden, dass die Entscheidungen
nicht von wenigen Experten im stillen Kämmerlein gefällt
werden. "Die Globalisierung muss gerecht gestaltet werden,
und dafür setze ich mich ein", sagte die Ministerin. "Das
bedeutet, dass die Entwicklungsländer mit einer starken und
gleichberechtigten Position in den GATS-Verhandlungen gehört
und berücksichtigt werden müssen."
"Transparenz über den Verhandlungsprozess ist auch wichtig,
damit die Entwicklungsländer nicht unter Druck gesetzt werden.",
hob die Ministerin hervor. Das Bundesministerium für wirtschaftliche
Zusammenarbeit und Entwicklung unterstütze die Entwicklungsländer
dabei, ihre wirtschaftliche Situation zu analysieren und eine starke
Verhandlungsposition aufzubauen, betonte die Ministerin. Für
handelsbezogene Entwicklungszusammenarbeit habe das Ministerium
für die Jahre 2002 und 2003 mehr als neun Millionen Euro zugesagt,
sagte die Ministerin.
"Wichtig ist es, in den Verhandlungen immer ein Ziel zu verfolgen:
Alle handelspolitischen Regelungen müssen mit der Strategie
zur Bekämpfung der weltweiten Armut verbunden werden",
betonte Wieczorek-Zeul. 'Deshalb müsse jede einzelne Forderung
an die Entwicklungsländer genau geprüft werden, ob sie
zur Bekämpfung der Armut beitrage. "Die bisher erhobenen
Forderungen seitens der EU an die Entwicklungsländer sind teilweise
sehr weitreichend. Auch wir würden nicht allen Entwicklungsländern
raten, diese Forderungen komplett umzusetzcn", hob die Ministerin
hervor. Gerade im Bereich der Finanzdienstleistungen sei Vorsicht
geboten. "Denn Liberalisierung ist kein Selbstzweck."
Aber wichtig sei auch darauf hinzuweisen, dass das GATS von den
Ländern explizit nicht die Privatisierung von Dienstleistungen
verlange.
Die Ministerin betonte, dass es Entwicklungsländer gebe, die
durchaus Interesse daran hätten, in städtischen Regionen
die Infrastruktur und Wasserversorgung von privaten Dienstleistern
aufbauen zu lassen. Das setze aber "strategische Partnerschaften"
zwischen den Unternehmen, der Entwicklungszusammenarbeit und den
betroffenen Ländern voraus, damit die Armen eine kostengünstige
Wasserversorgung erhielten. Dies entspreche den Beschlüssen
vom Weltgipfel für nachhaltige Entwicklung in Johannesburg
aus dem Jahr 2002. Anders sei die notwendige Infrastruktur im Bereich
der Wasserversorgung und der Basissanitätsdienste gar nicht
zu finanzieren. Jedes Jahr fehlten dafür 100 Milliarden Dollar,
sagte die Ministerin. "Wenn wir verhindern wollen, dass täglich
weltweit 6000 Kinder unter fünf Jahren sterben, weil sie durch
verschmutztes Wasser schwer krank wurden, dann müssen wir alle
finanziellen Mittel in einer strategischen Partnerschaft auch mit
Wasserversorgungsunternehmen mobilisieren", hob Wieczorek-Zeul
hervor.
Das GATS trat am 1.1.19.95 als Ergebnis der Uruguay-Verhandlungsrunde
in Kraft. Bis zum 30. Juni 2002 wurden an die 109 Staaten, die der
Welthandelsorganisation angehören, Forderungen gestellt, welche
Bereiche . des Handels mit Dienstleistungen liberalisiert werden
sollen. Bis zum 31.3.2003 sollen die WTO-Mitgliedsländer wiederum
ihre Angebote vorlegen, welche Bereiche sie liberalisieren wollen.
Über die Forderungen und Angebote wird dann verhandelt, so
auf der WTO-Ministerkonferenz in Cancun vom 10. bis 14. September
2003. Abgeschlossen werden sollen die Verhandlungen zum 1.1.2005.
12.03.2003
Antrag
der Abgeordneten Reinhold Hemker, Dr. Sascha-Raabe, Matthias
Weisheit, Sören Bartol, Dr. Herta Däubler-Gmelin, Martin
Dörmann, Gustav Herzog, Gabriele Hitler-Ohm, Lothar Mark, Michael
Müller (Düsseldorf), Holger Ortel, Dr. Wilhelm Priesmeier,
Wilhelm Schmidt (Salzgitter), Reinhard Schultz (Everswinkel), Jella
Teuchner, Waltraud Wolff (Wolmirstedt), Manfred Helmut Zöllmer,
Franz Müntefering und der Fraktion der SPD
sowie der Abgeordneten Ulrike Höfken, Thilo Hoppe, Friedrich
Ostendorff, Volker Beck (Köln), Cornelia Behm, Dr. Reinhard
Loske, Katrin Dagmar Göring-Eckardt, Krista Sager und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Drucksache 15/550
Für eine nachhaltige Agrarpolitik und einen gerechten Interessenausgleich
bei den laufenden WTO-Verhandlungen
Der Bundestag wolle beschließen:
Der Deutsche Bundestag stellt fest:
Die Beschlüsse der 4. WTO-Ministerratstagung vom November 2001
in Doha sehen vor, dass bis zum 31. März 2003 die Modalitäten
für ein neues WTOAgrarübereinkommen festgelegt werden.
Der Vorsitzende des WTO-Agrarausschusses hat am 12. Februar 2003
den Entwurf eines Modalitätenpapiers vorgestellt, auf dessen
Basis sich die WTO-Mitgliedsländer bis zur nächsten Ministerratstagung
im September 2003 in Cancun auf ein neues Agrarübereinkommen
verständigen sollen. Dabei stehen drei zentrale Instrumente
bisheriger Marktregulierung im Agrarbereich zur Disposition: Die
interne Stützung, die Exportsubventionen und der Außenschutz
(Zölle).
Der Allgemeine Rat der EU hat am 27. Januar 2003 einstimmig einen
EU-Verhandlungsvorschlag für die WTO-Agrarverhandlungen beschlossen,
der auf dem Grundsatz einer nachhaltigen Entwicklung im Agrarbereich
weltweit basiert. Die Bundesregierung unterstützt den EU-Verhandlungsvorschlag
ausdrücklich, da er das Ziel der Handelsliberalisierung in
einem ausgewogenen Verhältnis zu den jeweiligen wirtschaftlichen
und gesellschaftlichen Interessen der WTO-Mitgliedsländer sieht.
Im Rahmen der "Uruguay"-Runde wurden erstmals Agrarhandelsfragen
in das multilaterale Handelssystem der WTO integriert und der Abbau
der Agrarstützung, der Zölle sowie der Exportförderung
bereits eingeleitet. Demzufolge hat sich in der vergangenen Dekade
der Weltmarktanteil von Agrarprodukten aus der Europäischen
Union verringert. Mit über 60 Mrd. Euro ist die Europäische
Union jedoch weiterhin der weltgrößte Agrarimporteur.
Heute werden von der EU mehr Güter aus den Entwicklungsländern
importiert als von den USA, Japan, Canada, Australien und Neuseeland
zusammen.
Gleichzeitig führte die Liberalisierung in vielen Entwicklungsländern
zu einer starken Zunahme von Lebensmittelimporten, verbunden mit
einer Verdrängung kleinbäuerlicher Strukturen und mit
negativen Auswirkungen auf die Lebensmittelverarbeitung in diesen
Ländern. Dem standen deutlich geringere Liberalisierungsgewinne
durch verbesserten Marktzugang entgegen als erhofft. Insofern ist
in Bezug auf die ärmsten Länder eine neue Strategie gefragt,
die eine bessere Verteilung der Handelsgewinne zugunsten der am
stärksten benachteiligten Regionen und Bevölkerungsgruppen
in den Entwicklungsländern gewährleistet sowie Regeln
aushandelt, mit denen Dumpingmethoden verboten und ein Konzept der
Nahrungsmittelsicherheit gefördert wird.
Das bisherige Agrarabkommen wird den besonderen Problemen vieler
Entwicklungsländer, dem Ziel der Hungerbekämpfung, der
Umsetzung des Rechts auf Nahrung und einer Entwicklungsperspektive
für Kleinbauern nicht gerecht. Nach wie vor haben mehr als
800 Millionen Menschen nicht genug zu essen, obwohl genug Nahrungsmittel
angebaut werden, um doppelt so viele Menschen ernähren zu können
wie heute auf der Welt leben. Daher muss die laufende Welthandelsrunde
("Doha"-Runde) zu einer "Entwicklungsrunde"
werden, die zu einer besseren Integration der Entwicklungsländer
in' die Weltwirtschaft führt und ihren Bedürfnissen in
besonderer Weise Rechnung trägt.
Der Deutsche Bundestag betont die Bedeutung der WTO-Agrarverhandlungen,
die zwei Grundanliegen gerecht werden müssen. Zum einen geht
es darum, die internationale Agrarpolitik und- den Agrarhandel kohärent
zu den Zielen einer Neuorientierung der Landwirtschaft und der Lebensmittelproduktion
in Europa sowie der damit verbundenen Umwelt- und Qualitätskriterien
zu organisieren. Die eingeleitete Agrarwende in Deutschland und
Europa darf nicht durch die Beschlüsse der WTO unterlaufen
werden. Nachhaltige Produktion und Gesundheitsschutz sind grundlegende
Ziele sowohl für Industrie- als auch Entwicklungsländer.
Ihre Umsetzung erfordert die Verankerung internationaler Standards
in der Lebensmittelproduktion. Damit es hierbei für die Entwicklungsländer
nicht zu neuen Marktbarrieren kommt, müssen sie bei der Erfüllung
der Standards unterstützt werden. Zum anderen müssen die
Ergebnisse der Agrarverhandlungen in Einklang mit den Bemühungen
der Entwicklungsländer stehen, ihre Entwicklungsziele zu erreichen.
Das Recht auf Nahrung, sowie das Ziel, die Zahl der Hungernden bis
zum Jahr 2015 mindestens zu halbieren, muss durch die Beschlüsse
im Rahmen der WTO befördert werden.
Verschiedene Entwicklungsländer haben sich für die Einrichtung
einer "Development Box" ausgesprochen, u. a. um die auf
einheimischen Sorten basierende Nahrungsmittelproduktion besonders
bei Grundnahrungsmitteln zu schützen und Dumping mittels subventionierter
Exporte abwehren zu können. In Doha wurde die Sonder- und Vorzugsbehandlung
von Entwicklungsländern (special and differential treatment)
als Bestandteil aller Verhandlungen akzeptiert.
Ein weiterer Schlüsselbereich der WTO-Runde wird die Frage
des Marktzugangs sein. Die OECD-Staaten sollten einen substanziell
verbesserten Marktzugang in den Verhandlungen unterstützen.
Dies gilt vor allem in Bereichen, in denen Entwicklungsländer
konkurrenz- und lieferfähig sind. Die OECD-Staaten sollten
zudem Angebote zum Abbau bzw. der Reduzierung von Zöllen und
der Zolleskalation für verarbeitete Produkte vorlegen. Die
EU und andere OECD-Staaten sollten sich einer weitergehenden Marktöffnung
für alle Entwicklungsländer nicht verschließen.
Mit der Initiative "Everything but Arms" hat die EU ihre
Märkte für die ärmsten Länder inklusive Übergangsregeln
für Zucker, Reis und Bananen, weitgehend geöffnet. Andere
OECD-Staaten sollten dem europäischen Vorbild folgen und eine
Marktöffnung für die. LDC-Staaten verwirklichen. Diese
Forderung des EU-Handelskommissars und der Bundesregierung wird
mit Nachdruck vom Deutschen Bundestag unterstützt.
Der Deutsche Bundestag begrüßt, dass die EU-Kommission
und die Bundesregierung die anstehende Halbzeitbewertung der Agenda
2000 ("mid term review") als Chance zu einer tragfähigen,
WTO-kompatiblen Reform der Gemeinsamen Agrarpolitik nutzen wollen.
Dies gilt insbesondere für die Vorschläge, die auf die
Entkopplung von Subventionen von Preisen, Mengen und Anbauverpflichtungen
abzielen. In den Mittelpunkt der europäischen Agrarpolitik
rücken die gesellschaftlichen Anforderungen an die Landwirtschaft,
für Tier- und Umweltschutz, Verbraucherschutz und Qualitätsproduktion
sowie für die Entwicklung der ländlichen Räume.
Dem gegenüber wird der Entwurf des WTO-Modalitätenpapiers
dem Leitbild einer global nachhaltigen Entwicklung der Landwirtschaft
nicht gerecht. Wir begrüßen, dass bestimmte Elemente
und Sonderregelungen für Entwicklungsländer aufgenommen
worden sind. Doch auch aus entwicklungspolitischer Sicht sind diese
Vorschläge nicht hinreichend. Die Vorgaben für die Landwirtschaft
gefährden gleichzeitig das europäische Modell einer flächendeckenden,
multifunktionalen Landwirtschaft und würden zum Abbau unzähliger
Arbeitsplätze im ländlichen Raum führen. Die Anpassungslasten
dieses Vorschlags sind unausgewogen im Hinblick auf die Europäische
Union.
Aus Sicht des Deutschen Bundestages müssen die kommenden Monate
zu fairen Verhandlungen genutzt werden. Ziel muss es sein, dass
der internationale Handel sowohl für die europäische Qualitätsproduktion
als auch für Lebensmittel aus Entwicklungsländern faire
Bedingungen gewährleistet. Die Kriterien der Nachhaltigkeit
sowie überprüfbare soziale und ökologische Mindeststandards
müssen dabei die "Leitplanken" bilden.
Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,
- sich in der WTO-Runde für einen substantiell verbesserten
Marktzugang der Entwicklungsländer im Agrarbereich einzusetzen,
- sich dafür einzusetzen, dass Produkte aus Fairem Handel
mit Entwicklungsländern einen bevorzugten Marktzugang erhalten,
- sich dafür einzusetzen, dass andere OECD-Staaten dem europäischen
Vorbild folgen und eine Marktöffnung für die LDC-Staaten
verwirklichen,
- sich dafür einzusetzen, alle Formen der Exportsubventionierung
der Industrieländer drastisch zu reduzieren mit dem Ziel
diese abzuschaffen,
- Direktzuschüsse der Industriestaaten, die auf Produkte
bzw. die Produktion bezogen sind und bei denen der Export des
Produkts einen bestimmten Anteil überschreitet, wie Exportsubventionen
zu behandeln,
- sich dafür einzusetzen, dass mit durch den Exportsubventionsabbau
frei werdenden Mitteln auch die ländliche Entwicklung in
Entwicklungsländern gefördert wird und diese Länder
darin unterstützt werden, Weiterverarbeitungskapazitäten
von Agrarprodukten auf- und auszubauen,
- sich dafür einzusetzen, dass die Multifunktionalität
der Landwirtschaft und damit Maßnahmen zur Förderung
des Natur- und Landschaftsschutzes, der Entwicklung ländlicher
Räume, der Arbeitsplatzsicherung, des ländlichen Tourismus
und regionaler Wirtschaftskreisläufe als förderungswürdig
im Rahmen der "green box" anerkannt werden; sich in
diesem Rahmen insbesondere dafür einzusetzen, dass Agrarumweltmaßnahmen
sowohl in Industrie- als auch in Entwicklungsländern weiterhin
vollständig als Maßnahmen im Rahmen der "green
box" gefördert werden können,
- sich dafür einzusetzen, dass das Vorsorgeprinzip sowie
ökologische und gesundheitsbezogene Standards in der Lebensmittelproduktion
verankert werden. Transparente und allgemeingültige Kennzeichnungsregeln
sollen für
Lebens- und Futtermittel vereinbart und ihre verbindliche Anwendung
ermöglicht werden,
- sich für die Aufnahme einer klar definierten "development
box" im WTO Agrarabkommen einzusetzen, um die Ernährungsbasis
in Entwicklungsländern zu stärken und die Bedingungen
für die Entwicklung des ländlichen Raums zu verbessern;
hierzu zählt auch, den Entwicklungsländern das Recht
zuzugestehen, ihren eigenen Agrarsektor durch Außenschutz
und interne Stützung schützen und fördern zu können.
Dabei sollten jedoch alle Maßnahmen transparent und nachvollziehbar
erfolgen,
- im Zuge der WTO-Verhandlungen insbesondere dafür Sorge
zu tragen, dass bestehende Präferenzen für die ärmsten
Entwicklungsländer sowie die AKPStaaten erhalten bleiben
bzw. neue Präferenzstrategien aufgebaut werden,
- sich für eine Abschaffung der sog. De-Minimis-Regel für
entwickelte Länder einzusetzen,
- die internationalen Bemühungen zur Kodifizierung des "Recht
auf Nahrung" fortzusetzen und bei der Unterstützung
der UN-Entwicklungsziele die besondere Rolle der ländlichen
Entwicklung zu beachten,
- sich bei der Weltbank, im Rahmen der europäischen Entwicklungszusammenarbeit
und der bilateralen Zusammenarbeit für eine stärkere
Förderung ländlicher Entwicklungsprogramme einzusetzen,
- sich dafür einzusetzen, dass Regelungen dafür getroffen
werden, die Nahrungsmittelhilfe nicht zur Überschussbeseitigung
und zur Verdrängung einheimischer Saaten zu missbrauchen,
- die technische und finanzielle Hilfe an die Entwicklungsländer
bei allen Fragen des Zugangs zu den benötigten Technologien
für TBT- und SPS-Standards (Technical Barriers to Trade-Abkommen,
sowie Sanitäre und Phytosanitäre Maßnahmen-Abkommen
der WTO) sowie die bessere Nutzung von Ursprungsregeln auszudehnen
und bei den WTO-Verhandlungen zu berücksichtigen. Das gilt
auch für Capacity building bei allen internationalen standardsetzenden
Organisationen, da für mehr Ausgewogenheit bei der Repräsentanz
von Ländergruppen und Interessensvertretern gesorgt werden
muss,
- frühzeitig vor der Einführung neuer Standards in einem
Industrieland, Vertretungen der Entwicklungsländer zu Konsultationen
heranzuziehen und für Schwierigkeiten der Entwicklungsländer,
mit bestimmten Standards und Verfahren der Standardsetzung, Risikoeinschätzung
oder wissenschaftlicher Beweisführung, Mechanismen zu entwickeln,
wie diese Schwierigkeiten besser artikuliert, erfasst und berücksichtigt
werden können.
Berlin, den 12. März 2003
Franz Müntefering und Fraktion
Katrin Dagmar Göring-Eckardt, Krista Sager und Fraktion
Anlage 9
Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Anträge:
- Für eine nachhaltige Agrarpolitik und einen gerechten Interessenausgleich
bei den laufenden WTO-Verhandlungen
- WTO-Verhandlungen - Europäisches Landwirtschaftsmodell absichern
(Tagesordnungspunkt 11 und Zusatztagesordnungspunkt 9)
Dr. Sascha Raabe (SPD): Drei Viertel der Hungernden
und Armen der Welt leben im ländlichen Raum, täglich sterben
24 000 Menschen an den Folgen von Hunger und Armut. Wenn wir uns
das vor Augen führen, dann wird klar, dass es in dieser Debatte
nicht nur um Agrarhandel und die Absicherung der europäischen
Agrarindustrie geht - so wie die CDU/CSU dies in ihrem Antrag formuliert,
sondern es geht auch um Hunger, es geht um Menschenwürde und
um Entwicklungschancen für die Menschen in den ärmsten
Ländern dieser Welt.
Hohe Exportsubventionen und handelsverzerrende Direktzuschüsse
der Industrieländer zerstören die Märkte für
Kleinbauern in den Entwicklungsländern. Gleichzeitig gehen
den Entwicklungsländern durch die Importzölle der Industrieländer
circa doppelt so viele Einnahmen verloren, wie sie durch die öffentliche
Entwicklungszusammenarbeit erhalten. Diese ungerechte Welthandelsordnung
führt zu ländlicher Armut und zum Niedergang der Landwirtschaft
in vielen Entwicklungsländern.
Es gibt aber noch einen weiteren Effekt: Der Anbau von Coca- und
Mohnpflanzen ist für viele Kleinbauern oftmals der einzige
Ausweg, um die Familie zu ernäh ren. Mit dem Drogenhandel werden
dann wiederum Guerrilla-, Mafia- und Terrororganisationen finanziert,
was zur Destabilisierung ganzer Länder und - wenn ich an Südamerika
denke - auch ganzer Kontinente führen kann.
Somit fällt die Ungerechtigkeit der Weltmarktordnung am Ende
dann wieder auf uns zurück. Es ist also in unserem eigenen
Interesse bei der Reform des Welthandelssystems auch für die
Entwicklungschancen der armen und ärmsten Länder einzutreten.
Auch die heute Vormittag geführte Debatte über ein Zuwanderungsgesetz
und die Frage von Flüchtlingen und armutsbedingter Migration
ist nicht von der Frage nach fairen Lebensbedingungen in allen Teilen
dieser Welt zu trennen. Deshalb muss die Globalisierung fair gestaltet
und die WTO-Runde, wie in Doha angekündigt, tatsächlich
zu einer Entwicklungsrunde werden. Wenn wir das Ziel, die Armut
bis zum Jahr 2015 zu halbieren, erreichen wollen, müssen wir
jetzt handeln.
In unserem Antrag haben wir wichtige Vorschläge formuliert,
um die Armutsspirale zu stoppen. Exportsubventionen und handelsverzerrende
Direktzuschüsse der Industrieländer für die Landwirtschaft
müssen abgebaut werden. Dadurch werden zum einen wertvolle
Mittel für die notwendige Unterstützung einer ökologischen
und nachhaltigen Landwirtschaft bei uns frei. Zum anderen können
wir mit einem Teil der frei werdenden Mittel auch die Entwicklungsländer
in die Lage versetzen, ihre Landwirtschaft nachhaltig zu reformieren.
Ziel ist es, . nicht die Agrarindustrie, sonder die kleinen und
mittleren bäuerlichen Betriebe bei uns und in den Entwicklungsländern
zu stärken.
Zur besonderen Unterstützung von Kleinbauern in Entwicklungsländern
wollen wir den bevorzugten Marktzugang von Produkten aus fairem
Handel erreichen. Allerdings kann eine Ausweitung des Marktanteils
fair gehandelter Produkte nur dann gelingen, wenn das Bewusstsein
der Verbraucher für die Problematik hierzulande geschärft
wird. Deshalb ist es außerordentlich zu begrüßen,
dass die Bundesregierung öffentlichkeitswirksame Kampagnen
zugunsten des fairen Handels ausweitet. Ich erinnere zum Beispiel
an die vor wenigen Wochen stattgefundene "Transfair goes global"-Kampagne
anlässlich der Einführung des neuen Fair Trade Logos.
Neben dem Abbau von Importzöllen insbesondere für weiterverarbeitete
Produkte dürfen auch keine neuen nichttarifären Hindernisse
für die Entwicklungsländer entstehen. Deshalb müssen
wir die Entwicklungsländer durch technische und finanzielle
Hilfe aktiv unterstützen, damit sie unsere ökologischen
und gesundheitlichen Standards erfüllen können.
Mit der Aufnahme einer "development box" im WTO-Abkommen
soll die Ernährungsbasis in den Entwicklungsländern gestärkt
und die Bedingungen für die Entwicklung des ländlichen
Raumes verbessert werden. Hierzu zählt auch, den Entwicklungsländern
das Recht zuzugestehen, ihren eigenen Agrarsektor insbesondere im
Bereich der Grundnahrungsmittel durch Außenschutz und interne
Stützung schützen und fördern zu können.
Ich will zum Schluss noch einmal auf die Frage der Kohärenz
unserer Politik eingehen. Denn wie die Debatte heute zeigt, dürfen
wir nicht durch falsche Weichenstellungen in der Handelspolitik
die Ziele der Entwicklungspolitik gefährden. Heidemarie Wieczorek-Zeul
hat diesen vernetzten Ansatz, wonach alle Ressorts in ihren Entscheidungen
die Wirkungen für die Entwicklungsländer berücksichtigen
sollen, zur Leitlinie unserer Entwicklungspolitik gemacht.
Deshalb haben wir in der Koalition unseren Antrag eng zwischen den
Fachleuten für Landwirtschaft und Entwicklungspolitik abgestimmt.
Das hätte dem Antrag der Opposition vielleicht auch ganz gut
getan. Ich finde nämlich keinen einzigen Namen eines Entwicklungspolitikers
der Union auf diesem Antrag. Es reicht eben nicht, sich nur im Entwicklungsausschuss
für die armen Länder stark zu machen, sondern gerade auch
in Handelsfragen entscheidet sich, ob wir die große Kluft
zwischen Nord und Süd überwinden können.
Entwicklungsländer wollen keine Almosen - Nahrungsmittelhilfe,
um Überschüsse loszuwerden, ist meist sogar kontraproduktiv-,
sondern sie wollen in der Lage sein, selbstständig ihre Lebensgrundlage
zu erwirtschaften. Dies geht nur mit einer gerechten Welthandelsordnung
und einer fairen Ausgestaltung der Globalisierung. Dies ist wiederum
nur durch eine kohärente Entwicklungspolitik zu erreichen.
Deshalb bitte ich um Zustimmung zu diesem Antrag.
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