Stuttgart, 14.02.03
Sehr geehrter Herr J.,
vielen Dank für Ihr Fax vom 4.2.2003, in dem Sie Ihrer Besorgnis
über die laufenden GATS Verhandlungen Ausdruck verleihen. Wie
Ihnen sicherlich bekannt ist, hat der Handelskommissar Pascal Lamy
mittlerweile eine Liste vorgelegt, in der die Daseinsvorsorge, Gesundheit,
Bildung sowie Audiovisuelles von den GATS-Verhandlungen ausgeklammert
werden. Nur in den Bereichen Informatik, Tourismus, Telekommunikations-Dienstleistungen,
Transport, Vertrieb und Postdienste sollen nach Auffassung der EU-Kommission
Anbieter aus Drittstaaten künftig genauso behandelt werden
wie EU-Unternehmen.
Nach wie vor gibt es jedoch berechtigte Kritik an der Verhandlungsposition
der Kommission. Auch im Europäischen Parlament gibt es hierzu
derzeit Diskussionen. Folgende Punkte sind meiner Ansicht nach problematisch:
- GATS ist leider eine demokratiefreie Zone.
Die Verhandlungsführung ist nicht transparent und nicht demokratisch
kontrolliert. Die Verhandlungen werden von der EU-Kommission hinter
verschlossenen Türen geführt, basierend auf einem Mandat
des Ministerrates und in Abstimmung in dem sogenannten Art. 133
-Ausschuss. Weder auf nationaler Ebene, noch auf europäischer
Ebene sind die Parlamente in der Lage, die Verhandlungsführung
wirklich zu kontrollieren, geschweige denn mitzugestalten. Es
ist eben genau keine Transparenz, wenn wir Mitglieder des EP-Industrieausschusses
die geheimen Papiere - im Nachhinein - lediglich einsehen dürfen
und die zugegangenen Informationen vertraulich behandeln müssen.
Erst auf Druck von Parlamentariern und der Öffentlichkeit
wird das Thema GATS überhaupt öffentlich diskutiert.
Öffentliche Diskussion ist bei so weitreichenden Verhandlungen
auch dringend notwendig. Intransparenz und fehlende demokratische
Kontrolle gibt dem Verdacht Nahrung, dass so bessere Einflussnahme
von starken Lobbygruppen möglich ist. Wir brauchen die offene
Diskussion, so dass auch unbegründete Vermutungen aufgeklärt
werden können.
- Beeinträchtigt GATS die Daseinsvorsorge?
Auch wenn die EU-Kommission die Daseinsvorsorge von den GATS-Verhandlungen
ausklammern möchte, so ist fraglich, ob sie ihre Position
während der Verhandlungen nicht verändert. Es geht um
Liberalisierungsfragen und um Kriterien der Auftragsvergabe. Innerhalb
Europas ist die Diskussion um die Ausgestaltung der Daseinsvorsorge
noch nicht abgeschlossen. Gerade versuchen wir, über den
Art. 16 (EGV) einen kontrollierten Wettbewerb zu gestalten, d.h.
sensible Bereiche der Daseinsvorsorge besonders auszugestalten,
damit sie nachhaltig wirken können. Die Entscheidung, wie
die Daseinsvorsorge konkret geregelt wird, soll in den Händen
der politisch Verantwortlichen liegen. Die neue ÖPNV. Gesetzgebung
ist dafür ein Beispiel. Ziel des Europäischen Parlaments
ist es, dass die Kommunen entscheiden können, ob die Leistungen
selbst erbracht und oh sie ausgeschrieben werden sollen. Dies
sollte sich auch im GATS-Abkommen wiederfinden. Auch bei der Vergabe
von öffentlichen Auftragen soll es um mehr gehen als um den
günstigsten Preis: Umwelt- und soziale Kriterien müssen
erlaubt sein, Dies muss auch durch das GATS-Abkommen garantiert
sein.
- Ein besonders sensibler Bereich ist das Wasser.
In der Liste der Kommission wird der Bereich der Wasserdienstleistungen
nicht explizit erwähnt. Wasser ist - wie wir in der EU-Wasserrahmenrichtlinie
festgelegt haben - kein normales Handelsgut, sondern das Lebensmittel
Nr. 1. Die Wasserversorgung gehört zur Daseinsvorsorge und
der Zugang zu sauberem Wasser ist Voraussetzung für Leben
überhaupt. Die überwiegende Meinung im Europäischen
Parlament ist, dass dieser Bereich nicht liberalisiert worden
darf, auch nicht über den Umweg der GATS-Verhandlungen. Hier
bedarf es einiger deutlicher Klarstellungen durch die Kommission.
Ich unterstütze einen Großteil der Forderungen von ATTAC
und kann Sie deshalb nur ermuntern, den öffentlichen Druck
auf die europäischen Institutionen hinsichtlich der GATSVerhandlungen
aufrechtzuerhalten. Sollten Sie weiterhin Interesse an einem Gespräch
mit mir haben, so bitte ich Sie wegen eines Termin mit meinem Stuttgarter
Büro Kontakt aufzunehmen.
Mit freundlichen Grüßen
Dr. Rolf Linkohr, MdEP
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