31. März 2003
Sehr geehrter Herr Fritz
vielen Dank für Ihr Schreiben vom 14.1. 2003.
Gerne nehme ich Stellung zu den von Ihnen aufgeführten kritischen
Anmerkungen. Genau wie Sie. sehen die Regierungsfraktionen gewisse
Probleme im derzeitigen Verlauf der GATS-Verhandlungen und haben
mit zwei vom Deutschen Bundestag angenommenen Anträgen darauf
reagiert (BT-Drs. 15/224 und Drs. 15/576). Zu den einzelnen von
Ihnen angesprochenen Punkten stelle ich folgendes fest:
Die weitere Öffnung der Dienstleistungsmärkte, die von
der EU-Kommission geplant ist, sehe auch ich als problematisch an.
Der Bundestag hatte obendrein viel zu wenig Zeit (nicht einmal sechs
Wochen!), eigene Anhörungen zu diesem Thema durchzuführen
und sich angemessen damit zu beschäftigen. Diese Bedenkzeit
hat sich das Parlament aber selbst herausgenommen, und erstmalig
in der Parlamentsgeschichte der Bundesrepublik wurde im Antrag des
Deutschen Bundestages vom 12.3. 2003 (BT-Drs. 15/576) ein Parlamentsvorbehalt
gegenüber der EU-Kommission bei internationalen Verhandlungen
eingelegt. Seit Ihrem Schreiben ist eine erfreuliche Entwicklung
in diese Richtung die Entscheidung der EU, die Bereiche Bildung,
Ausbildung, Audiovisuelle Kommunikation und Gesundheitsdienstleistungen
von den Liberalisierungsverhandlungen auszunehmen. Ebenfalls erfreulich
ist die Ausnahme der Wasser- und Abwasserdienstleistungen, obwohl
ich die Befürchtung des Parlaments teile, dass diese Bereiche
von der EU im Laufe der Verhandlungen doch wieder zur Diskussion
gestellt werden.
In der Tat sind die einmal erfolgten Öffnungen der Dienstleistungsbereiche
praktisch nicht mehr umkehrbar. Um dies zu vermeiden, würde
ich eine Form der Zustimmung zu den GATS und WHO Abkommen begrüßen,
die auch eine partielle und zeitweilige Öffnung vorsieht. In
dieser Versuchsperiode könnten die Staaten, besonders solche
` mit wenig einheimischer Erfahrung im globalisierten Netz, evaluieren,
wie sich die veränderte Situation auf ihre nationalen Strukturen
ausgewirkt haben, sich untereinander austauschen und abschließend
zu einem sehr viel fundierten Urteil kommen, ob und welchen Teilen
des Abkommens sie zustimmen wollen. Auch die Möglichkeit, einmal
getroffene Abkommen bei Nicht-Erfüllung der in sie gesetzten
Erwartungen wieder rückgängig machen zu können, wäre
meiner Meinung nach erstrebenswert.
Die EU sollte die Verhandlungen nicht nur nach dem eben beschriebenen
Modell flexibler, aber auch transparenter machen. Die Parlamente
werden in der Regel viel zu kurzfristig dazu aufgefordert, die auf
Grund der vereinbarten Vertraulichkeit unter Ausschlug der Öffentlichkeit
ausgehandelten Abkommen lediglich noch zu ratifizieren. Es entspricht
meiner Meinung nach weder der Wichtigkeit des Themas noch den internationalen
Konventionen und schon gar nicht meinem Demokratieverständnis,
die Verhandlungen bloß einem kleinen Kreis von eingeweihten
zugänglich zu machen und an den Volksvertretungen vorbei zu
besiegeln. Diesem könnte man Abhilfe leisten, indem man Verhandlungsangebote
und -forderungen auf eigens dafür eingerichtete Internet- Seiten
stellt und laufend aktualisiert, um mehr Transparenz und kritische
Partizipationsmöglichkeit der breiten Öffentlichkeit sicherzustellen.
Die EU-Kommission muss zudem den Parlamenten mehr Zeit zur Beratung
einräumen. Das EU-Parlament, die nationalen Parlamente in Holland,
Finnland, Frankreich, Großbritannien und Deutschland haben
schon heftige Kritik in Richtung Brüsselverlauten lassen, dass
sie mit der ihnen zugedachten Beratungszeit nicht einverstanden
sind. Es darf einfach nicht angehen, dass. die in Doha gemachte
Zusage der EU-Kommission, bis zum 31. März der WHO ein Angebot
zu machen, zu solchen Mauscheleien gegenüber der Bevölkerung
und ihren Vertretern mißbraucht wird.
Wie Sie sehen, ist mir persönlich und auch den Regierungsfraktionen
die Problematik um bestimmte Aspekte der GATS und WHO Verhandlungen
bewusst. Wie Sie sicherlich selbst schon wissen, hat der Ausschuss
für Wirtschaft und Arbeit eine öffentliche Anhörung
zu den GATS-Verhandlungen am 7. April, 11.00 bis 15.00 Uhr angesetzt.
Auch ein Vertreter von attac ist dort als Sachverständiger
eingeladen. Für weitere, detailliertere Fragen zum gesamten
Themenbereich WHO/GATSVerhandlungen würde ich Sie bitten, sich
an den Referenten der AG Wirtschaft und Arbeit, Herrn Eckhardt Fischer,
Telefonnummer 030/227 55079 zu wenden.
Mit freundlichen Grüßen
Ihre Monika Griefahn
|