GATS-Briefaktion - Antwort von Matthias Wissmann, CDU

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Sehr geehrter Herr J.,

haben Sie vielen herzlichen Dank für Ihr engagiertes Schreiben vom 4. Februar 2003. Die konstruktive Kritik und die Anregungen, die Sie im Namen der attacRegionalgruppe Bietigheim-Bissingen / Ludwigsburg zu den derzeit laufenden internationalen GATS-Verhandlungen vorbringen, habe ich mit großem Interesse zur Kenntnis genommen. Gerne komme ich Ihrem Wunsch nach und erläutere Ihnen im Folgenden die Position der Union zu den von Ihnen angesprochenen Punkten.

Die Bedeutung von Dienstleistungen für Wachstum und Beschäftigung ist immens. In Deutschland etwa beträgt der Anteil des Dienstleistungssektors am Bruttoinlandsprodukt und an der Beschäftigung jeweils knapp 70 Prozent. Seit über einem Jahrzehnt ist der Dienstleistungssektor die am schnellsten wachsende Komponente der Weltwirtschaft. Der grenzüberschreitende Dienstleistungshandel hat seit Anfang der 90er Jahre um über 50 Prozent zugelegt und wuchs damit rund 10 Prozent schneller als dar Warenexport. Der Handel mit Dienstleistungen belauft sich heute nach OECD-Angaben auf insgesamt rund 2,3 Billionen US-Dollar. Das entspricht 7,6 Prozent der Weltproduktion und damit nahezu einem Fünftel des gesamten Handels mit Gütern und Dienstleistungen.

Schätzungen des Institutes for International Economics zufolge liegt die Höhe des Einfuhrschutzes in den Dienstleistungsbranchen in allen drei großen Handelsregionen durchschnittlich noch deutlich über 50 Prozent. Es gibt somit noch erheblichen Spielraum für die Erhöhung der Wohlfahrt der Konsumenten. Vor diesem Hintergrund treten CDU und CSU für eine weitere Verbesserung des Marktzugangs für Dienstleistungen ein. Dabei muss jedoch sichergestellt werden, dass Dienstleistungen hohe Qualitäts- und Sicherheitsstandards aufweisen. CDU und CSU fordern daher unter anderem:

  • dass die Dynamik der Liberalisierung im Dienstleistungsbereich, die seit der GATT-Vereinbarung 1993 mit entsprechenden Abkommen in den Bereichen Finanzdienstleistungen und Basistelekommunikation erreicht wurde, auf die übrigen Dienstleistungssektoren wie etwa die Entsorgung, den Seetransport oder den Luftverkehr und -transport übertragen wird,
  • dass künftige nationale Regelungen, durch die ausländische Anbieter und Investoren im Dienstleistungsbereich benachteiligt würden, dauerhaft ausgeschlossen werden.
  • dass der diskriminierungsfreie Zugang zu öffentlichen Aufträgen in allen WTOMitgliedsstaaten erreicht wird und sowohl im Güter- als auch im Dienstleistungshandel Anwendung findet. Bislang ist das Fehlen von multilateralen Regeln für die Auftragsvergabe eines der größten nicht-tarifären Handelshemmnisse im internationalen Dienstleistungsbereich. Ziel muss es sein, den Teilnehmerkreis des Übereinkommens über das Öffentliche Beschaffungswesen (GPA) zu erweitern.

Im Zuge der laufenden GATS-Liberalisierungsverhandlungen wird der WTO aus dem Lager der Nichtregierungsorganisationen (NGOs) immer wieder der Vorwurf gemacht, mit dem GATS die Privatisierung etwa der öffentlichen Wasserversorgung oder der Hochschulausbildung vorantreiben zu wollen. Kampagnen wie die Ihre oder auch seitens VENRO enthalten unter anderem die Forderung nach Ausnahmeregeln vom GATS for Dienstleistungen im Bereich der Daseinsvorsorge ("public services" wie Bildung, Gesundheit, Umwelt und Wasser). Die von zahlreichen NGOs befürchtete Vermutung, dass mit Hilfe von GATS die nationale Gesetzgebung der Parlamente ausgehebelt wird, dass öffentliche Monopole durch private ersetzt werden und dass es unter dem Druck des Marktes zu einer allgemeinen Niveausenkung der Angebote kommt, ist aus Sicht von CDU und CSU jedoch völlig unbegründet. Denn entgegen den oft gestreuten Befürchtungen der NGOs hat die EU die Daseinsvorsorge nicht in die GATS-Verhandlungen hineingenommen. Vielmehr wird in den EU-Forderungen ausdrücklich klargestellt, dass sie weder auf eine Beeinträchtigung von Dienstleistungen der Daseinsvorsorge noch auf Privatisierung zielen.

Es gibt nur eine Ausnahme und das ist die an die USA gerichtete punktuelle Forderung für privat finanzierte Dienstleistungen der höheren Bildung. Ansonsten sind Bildungsdienstleistungen von den EU-Forderungen nicht umfasst, genauso wenig wie Gesundheits- und soziale Dienstleistungen, Kultur und audiovisuelle Dienstleistungen.

Im Übrigen nimmt das GATS Dienstleistungen, die in Ausübung hoheitlicher Gewalt erbracht werden, von seinem Anwendungsbereich aus (GATS, Art. I, Abs. 3 b) und behält den WTO-Mitgliedern ausdrücklich vor, die Erbringung von Dienstleistungen in ihrem Hoheitsgebiet unter Berücksichtigung nationaler politischer Zielsetzungen zu regeln.

Die EU hat in der Länderliste unter der Rubrik "horizontale Verpflichtungen" eintragen lassen, dass in sämtlichen EU-Mitgliedsstaaten "Dienstleistungen, die auf nationaler oder örtlicher Ebene als öffentliche Aufgabe betrachtet werden, staatlichen Monopolen oder ausschließlichen Rechten privater Betreiber unterliegen" können (horizontale Ausnahme). Die EU behält sich also das Recht vor, den Marktzugang im Bereich öffentlicher Aufgaben einzuschränken. Viele NGOs befürchten allerdings, dass die EU bei den laufenden Dienstleistungsverhandlungen unter Druck gerät, die bisherigen Ausnahmen aufzugeben oder zumindest einzuschränken.

Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion jedenfalls unterstützt grundsätzlich die Regierung in ihrem Vorhaben, ein höheres und ausgewogeneres Liberalisierungsniveau aller

WTO-Mitglieder beim Welthandel mit Dienstleistungen zu erreichen, behält sich aber auch weiterhin vor, den Verhandlungsprozess aktiv und kontrollierend zu begleiten.

Für weitere konstruktive Kritik, Fragen und Anregungen seitens der attacRegionalgruppe Bietigheim-Bissingen / Ludwigsburg werden ich und die Mitarbeiter meines Berliner Bundestagsbüros selbstverständlich auch zukünftig stets ein offenes Ohr haben.

Mit freundlichen Grüßen

M. Wissmann


GATS Kampagne, Attac Deutschland
www.gats-kritik.de - Version vom Fr, 21.03.03

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