Sehr geehrter Herr ...,
vielen Dank für Ihre Mail vom 12. Februar zum Allgemeinen
Abkommen über den Handel mit Dienstleistungen (GATS). Sie schließen
sich der Position von ATTAC-Deutschland an. Erlauben Sie mir in
folgenden einige generelle Informationen.
Im Zuge der laufenden GATS-Liberalisierungsverhandlungen wird der
WTO aus dem Lager der Nichtregierungsorganisationen (NGOs) immer
wieder der Vorwurf gemacht, mit dem GATS die Privatisierung etwa
der öffentlichen Wasserversorgung oder der Hochschulausbildung
vorantreiben zu wollen. Kampagnen seitens ATTAC oder VENRO enthalten
u.a. die Forderung nach Ausnahmeregeln vom GATS für Dienstleistungen
im Bereich der Daseins-vorsorge ("public services" wie
Bildung, Gesundheit, Umwelt und Wasser). So auch Ihre Forderung,
sehr geehrter Herr ... .
Die Befürchtung, dass mit Hilfe von GATS die nationale Gesetzgebung
der Parlamente ausgehebelt wird, öffentliche Monopole durch
private ersetzt werden und es unter dem Druck des Marktes zu einer
allgemeinen Niveausenkung der Angebote kommt, ist völlig unbegründet.
Denn entgegen diesen von den NGOs oft gestreuten Befürchtungen
hat die EU die Daseinvorsorge nicht in die GATS-Verhandlungen hineingenommen.
Vielmehr wird in den EU-Forderungen ausdrücklich klargestellt,
dass sie weder auf eine Beeinträchtigung von Dienstleistungen
der Daseinsvorsorge noch auf Privatisierung zielen.
Es gibt nur eine Ausnahme, und das ist die an die USA gerichtete
punktuelle Forderung für privat finanzierte Dienstleistungen
der höheren Bildung. Ansonsten sind Bildungsdienstleistungen
von den EU-Forderungen nicht umfasst, genauso wenig wie Gesundheits-
und soziale Dienstleistungen, Kultur und audiovisuelle Dienstleistungen.
Im übrigen nimmt das GATS Dienstleistungen, die in Ausübung
hoheitlicher Gewalt erbracht werden, von seinem Anwendungsbereich
aus (GATS, Art. I, Abs. 3 b) und behält den WTO-Mitgliedern
ausdrücklich vor, die Erbringung von Dienstleistungen in ihrem
Hoheitsgebiet unter Berücksichtigung nationaler politischer
Zielsetzungen zu regeln.
Die EU hat in der Länderliste unter der Rubrik "horizontale
Verpflichtungen" eintragen lassen, dass in sämtlichen
EU-Mitgliedsstaaten "Dienstleistungen, die auf nationaler oder
örtlicher Ebene als öffentliche Aufgabe betrachtet werden,
staatlichen Monopolen oder aus-schließlichen Rechten privater
Betreiber unterliegen" können (horizontale Ausnahme).
Die EU behält sich also das Recht vor, den Marktzugang im Bereich
öffentlicher Aufgaben einzuschränken. Viele NGOs befürchten
allerdings, dass die EU bei den laufenden Dienstleistungsverhandlungen
unter Druck gerät, die bisherigen Ausnahmen aufzugeben oder
zumindest einzuschränken.
Im Einzelnen:
NGO-Behauptungen/-Befürchtungen |
Tatsächlich |
Liberalisierung von Bildungsdienstleistungen |
Die Forderungen an die EU beziehen sich weniger
auf das Liberalisierungsniveau in Deutschland als auf spezielle
Vorbehalte anderer EU-Mitgliedsstaaten gegenüber den bestehenden
EU-Verpflichtungen. Außerdem gibt es Forderungen, die
sich auf "höhere Bildung" und Erwachsenenbildung
generell (ohne die von der EU vorgenommene Beschränkung
auf privat finanzierte Dienstleistungen) beziehen und Forderungen
speziell für Bildungstestdienstleistungen.
Die EU hat keine Forderungen an Drittlandsstaaten gerichtet
- bis auf eine Ausnahme: Dabei handelt es sich um die an die
USA gerichtete punktuelle Forderung für privat finanzierte
Dienstleistungen der höheren Bildung.
|
Aufgabe der öffentlichen Aufsicht über
das Bildungswesen, insbesondere die Qualitätssicherung,
die Festlegung von Qualitätskriterien, die Entscheidung
über geeignete Verfahren des Monitorings |
Die Qualitätssicherung der Ausbildung ist
nach GATS-Systematik der nationalen Regelungsbefugnis überlassen
und nicht Gegenstand der Dienstleistungsverhandlungen |
Liberalisierung im Gesundheitsbereich |
Die EU hat keine Forderungen an Drittlandsstaaten
gerichtet und auch keine Forderungen an sie selbst erhalten. |
Liberalisierung des Wassermarktes |
Die Forderungen an die EU beziehen sich zum Teil
in allgemeiner Form auf Wasserversorgung.
Die EU-Forderungen an Drittlandsstaaten umfassen nicht den Zugang
zu (Wasser-) Ressourcen und schränken auch nicht die nationalen
Zuständigkeiten ein, Preise und die Verfügbarkeit
von Wasservorräten zu regeln.
Deutschlands Position: Modernisierung statt Liberalisierung
(u.a. Zusammenführung von Ver- und Entsorgung, Förderung
von Kooperationen und Fusionen). |
Liberalisierung audiovisueller Dienstleistungen |
Die Forderungen an die EU sind allgemein formuliert
und erkennen z.T. ausdrücklich die Besonderheiten dieses
sensiblen Dienstleistungsbereichs ("kulturelle Vielfalt")
und die Möglichkeit an, bestimmte Subventionen im Kulturbereich
ohne Weitervergabeverpflichtung aufrechtzuerhalten.
EU-Position: Dienstleistungsverhandlungen dürfen die Kernelemente
der deutschen und europäischen Kulturpolitik wie öffentlich-rechtlicher
Rundfunk und Filmförderung nicht beeinträchtigen.
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Trotz der Bedeutsamkeit des Dienstleistungssektors wird der internationale
Dienstleistungshandel durch vielfältige Handelshemmnisse behindert.
Groben Schätzungen des Institutes for International Economics
zufolge liegt die Höhe des Einfuhrschutzes in den Dienstleistungs-branchen
in allen drei großen Handelsregionen durchschnittlich noch
deutlich über 50%. Es gibt somit noch erheblichen Spielraum
für die Erhöhung der Wohlfahrt der Konsumenten.
Vor diesem Hintergrund tritt die CDU/CSU für eine weitere
Verbesserung des Marktzugangs für Dienstleistungen ein. Dabei
muss jedoch sichergestellt werden, dass Dienstleistungen, wie z.B.
Versicherungen, hohe Qualitäts- und Sicherheitsstandards aufweisen.
Die CDU/CSU fordert u.a., dass
- die Dynamik der Liberalisierung im Dienstleistungsbereich, die
seit der GATT-Vereinbarung 1993 mit entsprechenden Abkommen in
den Bereichen Finanzdienstleistungen und Basistelekommunikation
erreicht wurde, auf die übrigen Dienstleistungssektoren wie
etwa die Entsorgung, den Seetransport oder den Luftverkehr und
-transport übertragen wird;
- künftige nationale Regelungen, durch die ausländische
Anbieter und Investoren im Dienstleistungsbereich benachteiligt
würden, dauerhaft ausgeschlossen werden;
- der diskriminierungsfreie Zugang zu öffentlichen Aufträgen
in allen WTO-Mitgliedsstaaten erreicht wird und sowohl im Güter-
als auch im Dienstleistungshandel Anwendung findet. Bislang ist
das Fehlen von multilateralen Regeln für die Auftragsvergabe
eines der größten nicht-tarifären Handelshemmnisse
im internationalen Dienstleistungsbereich. Ziel muss es sein,
den Teilnehmerkreis des Übereinkommens über das Öffentliche
Beschaffungswesen (GPA) zu erweitern.
Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion unterstützt grundsätzlich
die Regierung in ihrem Vorhaben, ein höheres und ausgewogeneres
Liberalisierungsniveau aller WTO-Mitglieder beim Welthandel mit
Dienstleistungen zu erreichen, behält sich aber auch weiterhin
vor, den Verhandlungsprozess aktiv und kontrollierend zu begleiten.
Mit diesen Ausführungen hoffe ich, sehr geehrter Herr ...,
Ihre Befürchtungen zerstreut zu haben und bin
mit freundlichen Grüßen
Joachim Pfeiffer
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