Bolkestein Briefaktion - MdB, Monika Griefahn, SPD

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22. März 2005

Sehr geehrter Herr Reinhard, sehr geehrte Mitarbeiter von Attac,

in Ihrem Brief vom 16.02.2005 baten Sie mich um eine Stellungnahme zur Dienstleistungsrichtlinie, die ich Ihnen hiermit geben will und die Sie gern auch im Internet veröffentlichen können. Als Anhang finden Sie außerdem das Positionspapier der AG Kultur und Medien zu diesem Thema.

Die Liberalisierung des Dienstleistungsmarktes mag in mancherlei Hinsicht notwendig sein. Allerdings ist der derzeitige Entwurf einer EU-Dienstleistungsrichtlinie nicht hinnehmbar. Ein Argument gegen diesen Entwurf habe ich täglich in meinem Wahlkreis vor Augen. Hier häufen sich in den letzten Monaten die Probleme mit selbständigen oder vermeintlich selbständigen Dienstleistern insbesondere aus den neuen EU-Mitgliedsstaaten, die mit ihren niedrigen nationalen Standards unter anderem in den Bereichen der Sozialen Sicherung, des Umweltschutzes, des Verbraucherschutzes nicht allein zahlreiche Arbeitsplätze hier in Gefahr bringen, sondern auch viel von den mühsam genug erkämpften Standards in diesen Bereichen unterlaufen.

Als Kulturpolitikerin achte ich besonders auf die in diesem Feld relevanten Punkte. Die folgenden Aspekte, die auch Kernpunkte des Positionspapiers der AG Kultur und Medien von SPD und Grünen sind, müssen in der Diskussion kritisch betrachtet werden.

Die wichtigsten dabei sind:

  1. Die audiovisuellen Dienstleitungen und damit Hörfunk und Fernsehen sind vom Anwendungsbereich der Richtlinie auszunehmen, da deren besondere Funktion als Faktor der Meinungsbildung und Vielfaltsicherung nicht gefährdet werden darf.
  2. Die nationalen Filmfördersysteme (hier sind im Besonderen die Fördersysteme der Länder betroffen) sind aus dem Anwendungsbereich der Richtlinie auszunehmen.
  3. Es muss klargestellt werden, dass die Richtlinie keine Auswirkungen auf nationale Fördersysteme im Kulturbereich hat. Dies ist im Sinne der nationalen und regionalen kulturellen Vielfalt, die als Ziel ja bereits in der EU-Verfassung festgelegt ist.

Daneben ist es ebenfalls notwendig eine Ausnahme für die bildungspolitischen Leistungen zu erreichen, die überwiegend öffentlich finanziert sind. Insgesamt müssen die genannten Punkte auch in den GATS-Verhandlungen beachtet werden, es darf also keine EU-Liberalisierungsangebote im Kultur- und Medienbereich geben.

Ich bin froh, dass sich die Regierung und auch wir im Deutschen Bundestag (Antrag Drucksache 15/5116) uns deutlich gegen eine Richtlinie in der derzeitigen Form ausgesprochen haben. Jetzt allerdings mehr und mehr Ausnahmen zu fordern halte ich für einen falschen Weg. Zahlreiche EU-Rechtsexperten haben inzwischen darauf hingewiesen, dass eine Richtlinie nur im Ganzen Bestand haben könne. Das heißt, der Definition von Ausnahmebereichen kann durch eine Klage vor dem Europäischen Gerichtshof schnell widersprochen werden. Selbst bei dem momentanen Entwurf, bei dem bereits zahlreiche Bereiche (z.B. Finanzdienstleistungen, Verkehr u.a.) ausgenommen würden, hätte eine Klage gegen die Richtlinie keine geringe Chance auf Erfolg. Dafür sprechen verschiedene ähnliche und bereits entschiedene Fälle.

Ich glaube, wir sollten nicht länger von möglichst umfassenden Ausnahmeregelungen innerhalb der DLR ausgehen. Stattdessen sollten wir uns an einer positiven Formulierung orientieren und eine Richtlinie anstreben, die freie Dienstleistungen nur für bestimmte Bereiche festlegt.

Monika Griefahn MdB

Positionspapier der Arbeitsgruppe Kultur und Medien zum Kommissionsvorschlag für eine Richtlinie über Dienstleistungen im EU-Binnenmarkt (EU-Dienstleistungsrichtlinie)

Anwendungsbereich allgemein

Die Richtlinie erfasst horizontal übergreifend alle "entgeltlichen Tätigkeiten", d.h. alle "gegen Entgelt" erbrachten Dienstleistungen, die grenzüberschreitend erbracht werden. Somit sind auch audiovisuelle und kulturelle Dienstleistungen vom Anwendungsbereich der Richtlinie erfasst. Dieser horizontale und primär marktbezogene Ansatz entspricht den Besonderheiten einzelner Wirtschaftsbereiche nur ungenügend. Gerade im Bereich Kultur und Medien werden eben nicht nur Güter und Dienstleistungen im Sinne von Waren bereit gestellt, sondern weit darüber hinaus entstehen durch kreatives Schaffen kulturelle Identität und Wahrnehmung.

Nicht von der Richtlinie umfasst sind „nichtmarktbestimmte“/„nichtwirtschaftliche“ bzw. vom Staat ohne wirtschaftliche Gegenleistung in Erfüllung seiner sozialen, kulturellen, bildungspolitischen und rechtlichen Verpflichtungen erbrachten Tätigkeiten. Es besteht ein Graubereich, welche Leistungen der Daseinsvorsorge noch als „im allgemeinen wirtschaftlichen Interesse“ (Richtlinie findet Anwendung; Begriff des Art. 86 Abs. 2 EG-Vertrag) und welche als „im allgemeinen nichtwirtschaftlichen Interesse“ (Richtlinie findet keine Anwendung) anzusehen sind. Eine gemeinschaftsrechtliche Definition existiert nicht; der EuGH hat Einzelfälle entschieden, aber keine allgemeine Abgrenzungsregel aufgestellt. Nach dem im Bereich Bildungspolitik ergangenen EuGH-Urteil „Wirth“ sind solche Leistungen nichtwirtschaftliche, die „im Wesentlichen öffentlich finanziert“ sind. Die Bundesregierung fordert im Bildungsbereich, dass die Richtlinie keine Anwendung findet auf den Unterricht an staatlichen oder im Wesentlichen staatlich finanzierten Bildungseinrichtungen. Diese unzureichende Abgrenzung ist gerade für den Bereich Kultur und Medien von entscheidender Bedeutung, da Dienstleistungen im Kultur- und Medienbereich in großem Umfang nur zu einem Teil auf privatwirtschaftlicher Grundlage erbracht werden, jedoch als "gegen Entgelt" erbrachte Dienstleitungen vollständig unter die Regelungen der Dienstleistungsrichtlinie fallen. Die Kosten der Leistung werden nicht in vollem Umfang vom Endverbraucher bzw. -nutzer bezahlt. Fallen diese öffentlich geförderten oder in Trägerschaft der öffentlichen Hand erbrachten Leistungen unter die Dienstleistungsrichtlinie wie jede andere rein wirtschaftliche Dienstleistung, wird ihre kulturelle Sonderstellung nicht ausreichend berücksichtigt.

Ein sehr wesentlicher Ansatz der EU-Dienstleistungsrichtlinie ist das so genannte Herkunftslandprinzip (Art. 16). Danach sollen Dienstleistungserbringer lediglich den Bestimmungen ihres Herkunftslandes unterliegen, d.h. nationale Bestimmungen, die Aufnahmen und Ausübung der Dienstleistung betreffend (Verhalten der Dienstleistungserbringer, Qualität und Inhalt der Dienstleistung, Werbung, Verträge und Haftungsregelungen), gelten nicht für Dienstleistungserbringer aus anderen Mitgliedsstaaten. Diese unterliegen den diesbezüglichen Bestimmungen ihres Herkunftsmitgliedsstaates und sind von diesem zu kontrollieren. Es treten 25 parallel geltende Rechtssysteme in Konkurrenz zueinander, ein Wettbewerb um die niedrigsten Umwelt-, Arbeits- und Gesundheitsstandards, Qualifikationsanforderungen und Tarifverträge entsteht. Für den Kultur- und Medienbereich, wie in vielen anderen Bereichen auch, könnte die Einführung des Herkunftslandprinzips in der bisher vorgeschlagenen Form noch nicht vollständig absehbare Folgen haben. Die Schwächung der ohnehin angeschlagenen speziellen Sozialversicherungssysteme für Künstler und Publizisten (Künstlersozialkasse) könnte eine davon sein.

1. Positionen für den Bereich Rundfunk

Forderung: Rundfunk ist vom Anwendungsbereich der Richtlinie auszunehmen

Begründung:

  • besondere meinungsbildende und vielfaltsichernde Funktion des Rundfunks
  • zudem besteht ein verfassungsrechtliches Gebot der Staatsferne für den Rundfunk
  • das besondere, Qualitäts- und Vielfaltsicherung dienende und staatsfern organisierte Zulassungsverfahren für Rundfunkveranstalter ist durch die Art. 9-15 RL-Entwurf gefährdet

Forderung: Die Regelung, die die sog. "Must-Carry-Regelungen", die Weiterverbreitungsverpflichtungen für Kabelbetreiber gem. Rundfunk-Staatsvertrag, einschränkt, sollte gestrichen werden (Art. 15 Abs. 2 Buchstabe i sowie Erwägungsgrund 34, S. 2, 3)

Begründung:

  • auch der Zugang zu und die Ausgestaltung der Infrastruktur haben Einfluss auf die Verbreitung von Inhalten, ihre Vielfalt und Wirkung, deshalb sind die Must-Carry-Regelungen von erheblicher medienpolitischer Bedeutung und können nicht allein unter Binnenmarktsgesichtspunkten bewertet werden
  • zudem existiert eine detailliertere Regelung in Art. 31 Universaldienst-Richtlinie

2. Position für den Bereich Film

Forderung: nationale Filmfördersysteme (hier sind im Besonderen die Fördersysteme der Länder betroffen) aus dem Anwendungsbereich der Richtlinie auszunehmen und den Artikel 20b insofern zu streichen oder zu ändern

Begründung:

  • eine generelle Ausnahme für den Anwendungsbereich Film ist nicht zu erreichen
  • der jetzige Wortlaut des Art. 20b der DL-RL schließt Territorialisierungsregelungen aus, obwohl bereits bestehende Territorialisierungsklauseln mit Erlaubnis der EU-Kommission bestehen (Widerspruch zu Filmmitteilung der Kommission)
  • davon betroffen ist die Filmförderung der Länder, da diese die Bedingung enthält, Förderung (bis zu 75%) am regionalen Standort auszugeben
  • der jetzige Wortlaut des Art. 20b der DL-RL schließt die Anknüpfung an Territorialisierungsregelungen für die Möglichkeit zum Steuerabzug aus, deren Einführung im Filmbereich angestrebt wird
  • es ist außerdem Forderung der Bundesregierung, das Steuerwesen generell aus dem Anwendungsbereich der Richtlinie auszunehmen

3. Position für Leistungen der Daseinsvorsorge, zu denen auch kulturelle Dienstleistungen zu rechnen sind

Forderungen:

  • Klarstellung, dass Richtlinie keine Auswirkungen auf nationale Fördersysteme im Kulturbereich hat (Art. 1 DL-RL - damit findet die Richtlinie jedoch weiterhin Anwendung auf kulturelle Dienstleistungen)
  • Berücksichtigungsklausel kulturelle Vielfalt als Erwägungsgrund in der folgenden Formulierung:

"Durch die Richtlinie bleiben Maßnahmen auf mitgliedsstaatlicher oder EU-Ebene, die die kulturelle oder sprachliche Vielfalt schützen oder fördern, unberührt."

Begründung:

  • eine Ausnahme für Leistungen im allgemeinen wirtschaftlichen Interesse, d.h. für alle Leistungen der Daseinsvorsorge, die gegen Entgelt erbracht werden, ist nicht zu erreichen (nicht-wirtschaftliche Leistungen im allgemeinen Interesse werden von der DL-RL nicht erfasst)
  • ein noch zu diskutierendes Arbeitspapier der NL-Ratspräsidentschaft schlägt folgende Formulierungen vor:
  • "Diese Richtlinie behandelt weder die Liberalisierung von Dienstleistungen im allgemeinen wirtschaftlichen Interesse, die von öffentlichen oder privaten Unternehmen erbracht werden, noch die Privatisierung von öffentlichen Unternehmen, die Dienstleistungen erbringen." (Art. 1 Abs. 2)
  • „Diese Richtlinie behandelt weder die Abschaffung von Monopolen, die Dienstleistungen erbringen, noch Förderungen durch die Mitgliedstaaten, die durch die allgemeinen Wettbewerbsregelungen erfasst sind.“ (Art. 1 Abs. 3)
  • „Diese Richtlinie behandelt nicht die Finanzierung von Dienstleistungen in allgemeinem wirtschaftlichen Interesse und findet keine Anwendung auf mitgliedstaatliche Fördersysteme, insbesondere im Gesundheits- und Sozialbereich oder im audiovisuellen und Kulturbereich, die durch Titel VI, Kapitel 1, den Wettbewerbsregelungen des EG-Vertrages erfasst werden.“ (EWG 7c)

Auf der Basis dieser Formulierungen sollte eine Klarstellung dahingehend erreicht werden, dass durch öffentlich geförderte Kultureinrichtungen oder durch in Trägerschaft der öffentlichen Hand befindliche Kultureinrichtungen (z. Bsp. Theater, Museen, Musikschulen und Bibliotheken) erbrachte kulturelle Dienstleistungen vom Anwendungsbereich der Richtlinie auszunehmen sind.

Um das Schutzinteresse für kulturelle Vielfalt in der EU-Dienstleistungsrichtlinie zu verankern, sollte zudem eine Berücksichtigungsklausel kulturelle Vielfalt in die Richtlinie aufgenommen werden.

4. Position zur kollektiven Wahrnehmung von Urheberrechten

Forderung:

  • nationale Systeme der kollektiven Wahrnehmung von Urheber- und Leistungsschutzrechten durch Verwertungsgesellschaften aus dem Anwendungsbereich der Richtlinie auszunehmen (Art. 2 Abs. 2) bzw.
  • hilfsweise die Ausnahme von Urheberrechten und verwandten Leistungsschutzrechten vom Herkunftslandprinzip auf deren Wahrnehmung durch Verwertungsgesellschaften auszuweiten (Art. 17 Ziff. 13 DL-RL - Ausnahme der Urheberrechte und verwandter Schutzrechte)

Begründung:

  • Urheberrechte und verwandte Schutzrechte sind bereits vom Herkunftslandprinzip ausgenommen (Art. 17 Ziff. 13 DL-RL)
  • die kollektive Wahrnehmung von Urheberrechten und verwandten Schutzrechten durch Verwertungsgesellschaften entspricht der Erbringung von "Dienstleitungen von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse" (Art. 2 DL-RL) und wird demnach als kulturelle Dienstleistung vom Anwendungsbereich der Richtlinie erfasst
  • da in der Einrichtung und dem Status der Verwertungsgesellschaften zwischen den Mitgliedsstaaten deutliche Unterschiede bestehen, könnte die Anwendung der Dienstleistungsrichtlinie auf die Dienstleistungserbringung von Verwertungsgesellschaften nationale Genehmigungs- und Aufsichtsregelungen untergraben

Zusätzliche Aspekte für den Bereich Kultur

  • die Definition, was als Dienstleistung von allgemeinen Interesse zu verstehen ist, wie diese organisiert und finanziert wird, liegt in der Kompetenz der Mitgliedsstaaten, d. h. hier bieten sich ebenfalls Möglichkeiten, kulturelle Dienstleistungen vor Privatisierung und völliger Deregulierung zu schützen
  • die Bundesregierung hat in den Verhandlungen ebenfalls Voraussetzungen aufgestellt für die Einbeziehung von Sozialdienstleistungen in den Anwendungsbereich der DL-RL, insbesondere die Organisation und Finanzierung der sozialen Sicherungssysteme sowie der Dienstleistungen von allgemeinem Interesse betreffen auch den Bereich der Kultur
  • bereits bestehende Regelungen - z. Bsp. Subsidiaritätsprinzip und Kulturhoheit der Mitgliedsstaaten (Art. 151 EGV) - werden von der DL-RL faktisch beschränkt

5. Position zum Verhältnis der EU-Dienstleistungsrichtlinie zu den WTO/GATS-Verhandlungen

Forderungen:

  • Beibehaltung des Status quo in den laufenden GATS-Verhandlungen, keine EU-Liberalisierungsangebote im Kultur- und Medienbereich
  • Klarstellung, dass Liberalisierungsvereinbarungen im Rahmen der EU-Dienstleistungsrichtlinie nur für EU-Mitglieder gelten und keinerlei Auswirkungen auf Vereinbarungen im Rahmen internationaler Übereinkommen, insbesondere GATS, haben

Begründung:

Für die Verhandlungen ist eine klare Trennung zwischen Liberalisierungsfortschritten innerhalb des EU-Binnenmarktes und Liberalisierungsangeboten auf der Ebene der WTO erforderlich. Befürchtungen, die Einbeziehung des Kultur- und Medienbereichs in die geplante EU-Dienstleistungsrichtlinie könne die Position der EU in den laufenden GATS-Verhandlungen schwächen, in diesen Bereichen keine Liberalisierungszugeständnisse zu machen, können die unterschiedlichen Zielsetzungen und die unterschiedliche Vertragsstruktur des EG-Vertrages und des GATS entgegen gehalten werden. Zudem beinhaltet der EG-Vertrag bereits durch die Grundfreiheiten das Gebot, Dienstleistungsanbieter anderer EU-Mitgliedsstaaten und inländische Dienstleistungserbringer gleich zu behandeln.

6. Generelle Forderungen:

Beachtung bereits bestehender Regelungen

  • Beachtung des Prinzips der Subsidiarität, des wirtschaftlichen und sozialen Zusammenhalts und der Solidarität usw. (siehe Art. 2 EGV)
  • sowie im besonderen Wahrung der nationalen und regionalen kulturellen Vielfalt der Mitgliedsstaaten (Art. 151 EGV)
  • Beachtung der Grundrechte, insbesondere der Meinungs- und Medienfreiheit wie sie auch die EU-Grundrechte-Charta schützt

Abschätzungen der Chancen und Risiken

Für den vorliegenden Kommissionsvorschlag für eine Richtlinie über Dienstleistungen im EU-Binnenmarkt sollten Abschätzungen möglicher Chancen und Risiken der Umsetzung vorgelegt werden. Insbesondere für den Bereich Kultur und Medien sind Folgewirkungen auch aufgrund der mehrdimensionalen Einordnung ("Dienstleistungen von allgemeinem Interesse/Leistungen der Daseinsvorsorge" bzw. "Dienstleistungen im Binnenmarkt") nur schwer zu beurteilen. Zudem könnten Abschätzungen auch Klarheit über das Nebeneinander ("kumulativer Ansatz") bereits bestehender sektorspezifischer EU-Regelungen (z. B. EU-Fernseh-Richtlinie) und den Liberalisierungsforderungen für Dienstleistungen im EU-Binnenmarkt bringen.

Ausführliche Begründung

Zu 1. Position für den Bereich Rundfunk

Die bisherige Behandlung audiovisueller Dienstleitungen in der Richtlinie vernachlässigt die besondere meinungsbildende und vielfaltsichernde Funktion des Rundfunks. Ebenso gefährden die Vorschriften der Richtlinie zu Genehmigungsverfahren die verfassungsrechtlich begründete, staatsferne Organisation des Zulassungssystems im Rundfunkbereich in Deutschland. Diese besonderen Zulassungssysteme bilden die Grundlage der Sicherung von Medien- und Meinungsfreiheit, Jugend- und Verbraucherschutz sowie dem kontrollierten Umgang mit knappen Frequenzen. Zudem existieren für den Bereich des Fernsehens bereits Regelungen zur Mindestharmonisierung (Richtlinie "Fernsehen ohne Grenzen" RL 97/36/EG), die das Herkunftslandprinzip in Form des Sendelandprinzips bereits beinhalten. Weitergehende Harmonisierungen verbieten sich auch nach Art. 151 Abs. 5 EGV, der die Wahrung und Förderung der kulturelle Vielfalt der Mitgliedsstaaten festschreibt. Zudem räumt das Amsterdamer Protokoll den Mitgliedsstaaten die Freiheit ein, den öffentlich-rechtlichen Rundfunk zu organisieren und zu finanzieren. Die Kompetenz für die Ausgestaltung des Rundfunks ist eine grundlegende Kompetenz der Mitgliedsstaaten bzw. ihrer Gliedstaaten wie im Falle Deutschlands.

Zu 2. Position für den Bereich Film

Im Bereich der nationalen Filmförderung knüpfen so genannte Territorialisierungsklauseln die staatliche Förderung in einem bestimmten Umfang an die Verwendung in dem jeweiligen Mitgliedsstaat (national spend). Diese Regelung wurde in der filmwirtschaftlichen Mitteilung der Kommission vom 16. März 2004 (KOM (2004) 171 endg.) bestätigt und bis zum 30. Juni 2007 verlängert. Die jetzige Formulierung der Dienstleistungsrichtlinie in Art. 20 b) unterbindet eben diese Territorialisierungsklauseln. Eine Streichung oder Änderung des Art. 20b bzw. zumindest eine Klarstellung, dass Maßnahmen der staatlichen Filmförderung nicht unter Art. 20b fallen, ist daher notwendig. Die Filmförderung des Bundes ist davon z. Zt. nicht betroffen, jedoch die Filmförderung der Länder. Eine generelle Ausnahme für den Bereich Film wird nicht zu erreichen sein. Es muss generell klargestellt werden, dass die nationalen Fördersysteme insbesondere im audiovisuellen und kulturellen Bereich von der Richtlinie nicht berührt werden. Frankreich betreibt ebenfalls eine sehr intensive Filmförderung und könnte in diesem Punkt ein wichtiger Partner in den Verhandlungen sein.

Zu 3. Position zum Bereich der kulturellen Dienstleistungen

Eine Forderung, kulturelle Dienstleistungen aus der Richtlinie herauszunehmen, kann nicht durchgesetzt werden, da es gerade das grundlegende Ziel der Richtlinie ist, die Erbringung wirtschaftlicher Dienstleistungen möglichst unbeschränkt zu ermöglichen und damit Europa als einen einheitlichen Wirtschaftsraum wettbewerbsfähiger zu gestalten. Zudem würde der Gemeinschaft auf diese Weise eine (zumindest Definitions-) Kompetenz hinsichtlich kultureller Dienstleistungen zuerkannt. Eine Regelungskompetenz der EU im Kulturbereich wird aber von Deutschland und allen anderen Mitgliedsstaaten verneint (Art. 151 EGV). Die im Rahmen einer Ausnahmeregelung notwendig werdende Definition kultureller Dienstleistungen könnte eine gemeinschaftsweite Vereinheitlichung zur Folge haben, die dem Ziel der Erhaltung kultureller Vielfalt zuwider läuft.

Nationale Fördersysteme, die Teil der Kulturpolitik der Mitgliedsstaaten sind, müssen von der Richtlinie unberührt bleiben. Auch die Präambel der künftigen EU-Verfassung beinhaltet das Bekenntnis zur kulturellen Vielfalt der Mitgliedsstaaten sowie ihrer Sicherung und Förderung.

Zu 4. Position zur kollektiven Wahrnehmung von Urheberrechten

Die kollektive Rechtewahrnehmung durch Verwertungsgesellschaften hat wichtige wirtschaftliche, kulturelle und soziale Aufgaben in allen Mitgliedsstaaten der Union. Die Tätigkeit von Verwertungsgesellschaften besteht in der Erbringung kultureller Dienstleistungen, sie tragen zur Wahrung und Förderung der kulturellen Vielfalt bei und sollten deshalb besonders geschützt werden (Art. 151 EGV). Auch in der Mitteilung KOM(2004) 261 endg. der EU-Kommission zu Urheberrechten und verwandten Schutzrechten wird neben allgemeineren wirtschaftlichen Zielen im Urheberrechtsschutz eine nichtwirtschaftliche Zielsetzung, insbesondere die "Förderung von Kreativität, kultureller Vielfalt und kultureller Identität" gesehen. Beim grenzüberschreitenden Handel im Binnenmarkt mit Waren und Dienstleistungen, die durch das Urheberrecht oder verwandte Schutzrechte geschützt sind, bestehen jedoch deutliche Unterschiede in der Einrichtung und dem Status von Verwertungsgesellschaften; ihrer Arbeit und ihrer Rechenschaftspflicht, sowie ihrer internen und externen Kontrolle, einschließlich der Mechanismen zur Regelung von Streitigkeiten. Würde die Tätigkeit der Verwertungsgesellschaften als Folge des Herkunftslandprinzips einem Wettbewerb der Rechtsordnungen ausgesetzt, bestünden für deutsche Verwertungsgesellschaften klare Benachteiligungen. Die durch staatliche Kontrolle garantierte Qualitätssicherung (soziale und kulturelle Aufgaben der Verwertungsgesellschaften §§ 7 S. 2 und 78 UrhWG) sowie der in Deutschland geltende Wahrnehmungszwang (§ 6 Abs. 1 WahrnG) und Abschlusszwang (§ 11 Abs. 1 WahrnG) könnten umgangen und damit weniger effektiv sein. Bereits in der Mitteilung der Kommission vom 19. April 2004 (KOM(2004) 261 endg.) wird Handlungsbedarf für eine Rahmenregelung der Gemeinschaft hinsichtlich der kollektiven Rechtewahrnehmung gesehen, die sich jedoch ausdrücklich an bereits bestehenden Urheberrechtsregelungen orientieren sollte. Diese erkennen u.a. die Anwendung der Rechts des Verwertungsortes auf die Rechtewahrnehmung als Grundsatz an (Art. 5 Abs. 2 der Berner Übereinkunft). Dieses "Territorialitätsprinzip" ist vom Europäischen Gemeinschaftsgesetzgeber anerkannt und vom Europäischen Gerichtshof bestätigt worden (Vgl. Rechtssache 62/79 und 262/81). Würden die gesetzlichen Anforderungen an die kollektive Rechtewahrnehmung in den Mitgliedsstaaten dem Herkunftslandprinzip unterworfen, widerspräche dies zum einen bereits bestehenden Grundsätzen ("Territorialitätsprinzip") und zum anderen wichtigen sozialen und kulturellen Aufgaben der Verwertungsgesellschaften. Das bestehende Prinzip der Gegenseitigkeitsverträge (basierend auf dem Territorialitätsprinzip), durch welches Verwertungsgesellschaften im Sinne der Urheber und Leistungsschutzberechtigten sowie der Nutzer Urheberrechte in einer Hand verwalten (Urheber- und Leistungsschutzrechte müssen zwangsläufig monopolistisch wahrgenommen werden), könnte nach Artikel 21 DL-RL (Diskriminierungsverbot) eine Diskriminierung darstellen. Die Aufhebung dieses Prinzips könnte wegen der Vielzahl der nebeneinander geltenden Bestimmungen einen enormen Verwaltungsaufwand sowohl für Urheber und Leistungsschutzberechtigte, als auch für die Nutzer bedeuten. Konzeptionelle Ansätze zur Verbesserung und Vereinheitlichung der europaweit bestehenden Regelungen werden zudem unabhängig von der EU-Dienstleistungsrichtlinie durch die Kommission bereits intensiv geprüft (KOM(2004) 261 endg.). Die Anwendung der Dienstleistungsrichtlinie auf die Tätigkeit von Verwertungsgesellschaften würde diesen bereits bestehenden Harmonisierungsansätzen den Boden entziehen.

Zu 5. Position zum Verhältnis der EU-Dienstleistungsrichtlinie zu den WTO/GATS-Verhandlungen

Eine grundsätzliche Ausnahme des Kulturbereichs und des audiovisuellen Sektors (wie von Frankreich gefordert - "exception culturelle") aus den GATS-Verhandlungen konnte nicht erreicht werden, jedoch erzielte die Europäische Kommission als Verhandlungsführerin für die Mitgliedsstaaten der Europäischen Union Ausnahmeregelungen. Für den Kulturbereich und den audiovisuellen Sektor konnten Befreiungen vom Grundsatz der Meistbegünstigung durchgesetzt werden und es wurden keinerlei spezifische Verpflichtungen hinsichtlich der Inländerbehandlung und des Marktzugangs zugestanden. Somit können die Mitgliedsstaaten der Europäischen Union weiterhin nationale Fördermaßnahmen zu Gunsten des kulturellen und audiovisuellen Dienstleistungssektors aufrecht erhalten und den Marktzugang teilweise beschränken (Status quo). Solange die EU-Kommission keine Liberalisierungsforderungen an Drittländer stellt und keine entsprechenden Angebote unterbreitet, bleibt dieser Status quo erhalten.

Der EG-Vertrag will einen wirtschaftlich funktionierenden Binnenmarkt auch für Dienstleistungen, um durch höhere Integration und die damit verbundene wirtschaftliche Liberalisierung auf EU-Ebene die Lebensverhältnisse der Bürger in den Mitgliedsstaaten einander anzunähern. Das GATS hingegen beschränkt sich darauf, durch Schaffung eines multilateralen, wirtschaftsrechtlichen Rahmens und von Regeln für den Dienstleistungshandel die Ausweitung dieses Handels und damit das Wirtschaftswachstum aller Partner zu fördern. Dabei nimmt es unterschiedliche Lebensverhältnisse in den Mitgliedsstaaten zur Kenntnis. Eine klare Abgrenzung dieser beiden Ebenen ist deshalb notwendig.

Von Bedeutung für die laufenden GATS-Verhandlungen könnte die UNESCO-Konvention zum Schutz der Vielfalt kultureller Inhalte und künstlerischer Ausdrucksformen sein. Aus der Unterzeichnung dieser Konvention folgt die Verpflichtung für die Unterzeichnerstaaten, nationale Politiken zum Schutz und zur Förderung von kulturellen Aktivitäten anzuerkennen. Der Schutz und die Förderung der kulturellen Vielfalt wäre damit auch international ein rechtlich geschütztes Interesse und müsste beachtet werden. Ein solches Instrument böte den WTO/GATS-Verhandlungen eine kulturpolitische Berufungsgrundlage, in der nicht unterschreitbare Prinzipien der Kulturverträglichkeit festgeschrieben wären.

Für die Verhandlungen über die EU-Dienstleistungsrichtlinie könnte eine Berücksichtigungsklausel kulturelle Vielfalt (siehe Forderung Punkt 3) die Beachtung der hohen Bedeutung kultureller Vielfalt einfordern.

Zu 5. Generelle Forderung nach Beachtung bereits bestehender Regelungen

Der horizontale Ansatz der Richtlinie findet neben bereits bestehenden sektorspezifischen EU-Regelungen Anwendung ("kumulativer Ansatz"). Die Richtlinie geht als Gemeinschaftsrecht nationalem Recht vor und wird zu zahlreichen Änderungen nationaler Regelungen führen.

Bestehende gemeinschaftsrechtliche Regelungen sollten durch eindeutig formulierte Kollisionsregeln abgegrenzt werden (z. Bsp. EU-Fernseh-Richtlinie), da sie bereits sektorspezifisch Regelungen innerhalb des EU-Gemeinschaftsrechts treffen und ebenfalls Deregulierung bzw. Harmonisierung innerhalb des Binnenmarktes vornehmen.


GATS Kampagne, Attac Deutschland
www.gats-kritik.de - Version vom Fri, 08.04.2005

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