Berlin 9. März 2005
Sehr geehrter Herr Reinhard,
haben Sie vielen Dank für Ihr Schreiben vom 16. Februar, das ich mit Interesse gelesen habe und
im Namen der FDP-Bundestagsfraktion gerne beantworte.
Der Entwurf der Europäischen Kommission für eine Richtlinie über Dienstleistungen im Binnenmarkt
vom 25. Februar 2004 befindet sich derzeit in der Diskussion im Europäischen Parlament
und wird voraussichtlich - auch angesichts parallel hierzu in den Mitgliedsstaaten aufgeflammter
Debatten - nicht vor Ende diesen Jahres verabschiedet werden, um dann gegebenenfalls 2006 in Kraft zu
treten und nachfolgend in das jeweilige nationale Recht umgesetzt zu werden.
Im Lichte der gegenwärtig geführten Diskussionen in den einzelnen Mitgliedstaaten über
die Ausgestaltung einzelner Vorschriften, die leider allzu oft auf verkürzten Darstellungen beruht,
ist eine abschließende Bewertung der Dienstleistungsrichtlinie derzeit noch nicht möglich,
liegt doch noch nicht einmal die Berichterstattung im Europäischen Parlament hierzu vor.
Ich bitte Sie deshalb um Verständnis dafür, dass die FDP-Fraktion im Deutschen Bundestag
eine fundierte Positionierung erst vorlegen wird, wenn die Inhalte der Richtlinie konsolidiert sind,
weshalb ich mich im Folgenden auf einige grundsätzliche Anmerkungen zum vorliegenden Richtlinienentwurf beschränken werde.
Die in der Folge des Maastrichter Vertrages von 1992 beschlossene Binnenmarktstrategie zielte auf den
freien Verkehr von Waren, Kapital, Personen und Dienstleistungen in einem gemeinsamen Markt. Während
der freie Warenverkehr innerhalb der Europäischen Union - insbesondere auf Basis des Herkunftslandprinzips
- als Erfolgsmodell für die Liberalisierung des innereuropäischen Marktes
betrachtet werden muss, gilt dies noch nicht für die Mobilität von Personen, Kapital und Dienstleistungsunternehmen.
Insofern begrüßt die FDP-Bundestagsfraktion ausdrücklich die Aufmerksamkeit, die bereits
die alte Kommission diesem Thema gewidmet hat. In Europa kommt dem Dienstleistungssektor, der in
den EU-Staaten meist zu etwa 70% zu BIP und Beschäftigung beiträgt, entscheidende Bedeutung
zu. Soll also die Vision von Europa als wettbewerbsfähigstem Wirtschaftsraum der Welt Wirklichkeit
werden, sind Initiativen zur Erleichterung der Erbringung grenzüberschreitender Dienstleistungen in Europa unabdingbar.
Gerade hier zeigte sich jedoch in der Vergangenheit, dass die Mitgliedstaaten nur allzu oft aus falsch
verstandenem nationalem Interesse heraus hohe Hürden für Dienstleistungserbringer aus anderen
Mitgliedstaaten errichtet haben, die von steuerlicher Benachteiligung, Zugangsbeschränkungen
bis hin zu bürokratischer Überforderung reichten. Dieser Zustand kann im Interesse der
europäischen und auch der deutschen Wirtschaft nicht länger hingenommen werden. Letztlich
profitieren alle Mitgliedstaaten von mehr Wettbewerb und effizienteren Leistungserbringern im tertiären Sektor.
Vor diesem Hintergrund erachtet die FDP es als konsequent und richtig, dass die EU-Kommission in ihrem
Richtlinienentwurf auf das auch durch die europäische Rechtsprechung ohnehin schon eingeführte
Herkunftslandprinzip zurückgegriffen und dieses zum Kern ihres Vorschlags gemacht hat. Dies
ist insbesondere deshalb zu begrüßen, weil damit sektorale Regulierungen vermieden werden
können, die zwangsläufig zu immensem bürokratischem Aufwand führen. Darüber
hinaus schafft dieser universelle Ansatz Rechtssicherheit für die betroffenen Unternehmen
und ermöglicht die Einbeziehung künftiger, bisher unbekannter Dienstleistungsbereiche. Er
wird deshalb seitens der FDP-Bundestagsfraktion als adäquates Instrument zur Verfahrensvereinfachung
und Entbürokratisierung bewertet, der als Kernpunkt der Richtlinie unbedingt erhalten bleiben
sollte. Eine weit reichende Aushöhlung des Herkunftslandprinzips durch ausufernde Ausnahmen und sektorale Einzelregulierungen lehnt die FDP ausdrücklich ab.
Gleichwohl muss im Verlauf der weiteren Beratungen sichergestellt werden, dass der Anwendungsbereich
der Richtlinie klar abgegrenzt wird von anderen, bereits bestehenden Richtlinien wie der Entsenderichtlinie
oder der Berufsqualifikationsanerkennungsrichtlinie. Ausnahmen vom Herkunftslandprinzip müssen
- wo überhaupt erforderlich - klar abgegrenzt und nach Möglichkeit zeitlich befristet werden.
Insbesondere aber muss neben den Regelungen zur Niederlassungsfreiheit der Bereich der Kontrolle von
Dienstleistungserbringern zufrieden stellend gelöst werden. Hier stellt sich in der Tat die Frage,
inwieweit eine Überwachung vom Herkunftsland aus praxisfest ist. In jedem Falle aber erforderte
eine solche Regelung eine umfangreichere und wirksamere administrative Zusammenarbeit der Mitgliedstaaten.
Zusammenfassend aber unterstützt die FDP Bundestagsfraktion wie auch die liberale Fraktion im Europäischen
Parlament nachhaltig die Initiative der EUKommission zur Liberalisierung und Deregulierung
des europäischen Dienstleistungsmarktes. Es kommt nunmehr insbesondere darauf an, die Debatte
- insbesondere in Deutschland - wieder zu versachlichen und vor allem auch auf die großen
Chancen einer erfolgreichen Liberalisierung hinzuweisen. Von einem funktionierenden Wettbewerbsmarkt
für Dienstleistungen in Europa würden letztlich alle Mitgliedstaaten, aber insbesondere
die europäischen Bürgerinnen und Bürger nachhaltig profitieren. Die FDP wird deshalb
den laufenden Entscheidungsprozess konstruktiv begleiten, um dieses Projekt zum Erfolg zu führen.
Freundliche Grüße
Gudrun Kopp
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