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Offener Brief an Peter Grottian

Aktive aus dem bundesweiten Koordinierungskreis, Mitglieder des Wissenschaftlichen Beirats sowie Beschäftige im Bundesbüro von Attac haben mit einem Offenen Brief auf den Meinungsartikel "Erstarrte Bewegung" von Peter Grottian in der Taz vom 9. Februar geantwortet.

 

Foto: www.attac.de

Lieber Peter,

wir haben Deinen Artikel in der taz gelesen. Wir waren etwas überrascht. Nicht davon, dass Du Deiner Tradition treu bleibst, Attac jährlich aufs Neue öffentlich eine Krise zu attestieren, sondern davon, dass du dies jetzt tust. Schließlich wurde gerade erst eine wissenschaftliche Studie über Attac fertig, die auch auf Deine Anregung hin erstellt wurde. Du bist darüber informiert, dass wir die Ergebnisse keineswegs mit spitzen Fingern anfassen, sondern einen Prozess zur Bearbeitung angestoßen haben. Die Schwierigkeiten, denen Attac gegenübersteht, sind den allermeisten aktiven Attacies deutlich bewusst.

Völlig unbestritten: Du beschreibst viele Symptome ganz richtig. Dennoch purzeln in Deiner Analyse Argumente munter durcheinander, und es fehlt etwas Entscheidendes: Du reflektierst nicht die gesellschaftlichen Verhältnisse, innerhalb derer heute emanzipatorische Politik agiert, Deine Vorschläge sind mehr von Wunschdenken geprägt, als analytisch begründet. Die politischen Gestaltungsspielräume emanzipatorischer Kräfte sind kontinuierlich geschrumpft. Sogar Regierungen, so sie nicht in den Machtzentren sitzen, können kaum noch politisch gestalten – siehe Griechenland, siehe die drohende Einschränkung der Entscheidungsspielräume der Parlamente durch Abkommen wie TTIP. Die anhaltende ökonomische Krise und die ideologische Schwäche der Neoliberalen haben nicht zu einem Erstarken der gesellschaftlichen Kräfte geführt, die nach solidarischen und emanzipatorischen Auswegen aus der Krise suchen. Im Gegenteil, die gesellschaftliche Linke ist in der Defensive und führt überwiegend Abwehrkämpfe. Und Attac hat als Teil davon mit denselben Schwierigkeiten zu kämpfen. Umso schwerer ist es, und zwar nicht nur für Attac, sondern für politische Bewegungen allgemein, den Einzelnen/die Einzelne zu ermutigen, sich für Veränderungen stark zu machen. Wir haben keine einfachen Lösungen zu bieten, und wir wollen das auch nicht, anders als unsere politischen Gegner. Für Unmutsbekundungen braucht es nicht viel, wie die Zusammenrottungen der Rechten, der Unzufriedenen, der Motzenden unter dem Banner von Pegida und Co deutlich zeigen – für die Entwicklung positiver Alternativen hingegen schon.

Attac ist als ein Projekt der globalisierungskritischen Bewegung entstanden. Inzwischen haben sich nicht nur die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen geändert, auch die globalisierungskritische Bewegung hat sich gewandelt. Einerseits wurden neue NGOs gegründet, die sich auf Teilaspekte der Globalisierung spezialisiert und teilweise in starkem Maße professionalisiert haben. Daneben hat sich mit der Partei Die Linke ein Akteur herausgebildet, in dem viele, die zu Beginn in Attac aktiv waren, ihre Heimat gefunden haben. Trotz dieser Weggänge sind heute nicht weniger Menschen kontinuierlich bei Attac aktiv als früher, allerdings anders und medial weniger wahrgenommen. Gerade zu Beginn der 2000er-Jahre, als die ideologische Hegemonie der Neoliberalen so allmächtig schien, diente Attac vielen als Container für ihre Vorstellungen und Hoffnungen. Im Slogan „Eine andere Welt ist möglich" konnten sich Menschen mit ganz unterschiedlichen politischen Vorstellungen wiederfinden. Attac war damals auch ein Ausdruck eines diffusen Unwohlseins in Anbetracht des Zustands der Welt und sollte immer mehr sein, als es tatsächlich war. Kein Wunder, dass daraus Enttäuschungen und Mythen entstehen. Beispielweise der von dir angeführte Mythos, Attac sei in seinem Kern jung gewesen und SchülerInnen und Studierende eine feste Bank darin. Das trifft so nicht zu, auch wenn das Netzwerk für junge Menschen in den Anfangsjahren attraktiver war als heute.

Du unterstellst Attac Zahnlosigkeit – das Finanzamt Frankfurt sieht das offenbar anders und entzieht uns die Gemeinnützigkeit, weil wir seiner Ansicht nach zu politisch sind. Schon das allein ist ein guter Hinweis darauf, wie sehr politisches Engagement inzwischen unter Druck steht. Zudem unterstellst Du, Attac trage das Wort vom Zivilen Ungehorsam nur im Mund, und monierst ein paar Absätze vorher das Engagement von Attac-Aktiven bei Blockupy, einem Bündnis, das bestimmt nicht in erster Linie durch Hasenfüßigkeit hervorsticht.

Du beklagst seit Jahren die fehlende Attraktivität von Attac: Die Zahlen sprechen eine andere Sprache: In den 170 lokalen Attacgruppen gibt es seit Jahren einen ungebrochenen Andrang von Menschen, die aktiv werden und mitmischen wollen – keineswegs nur alte Männer! Attac erlebt einen stetigen Zustrom an Mitgliedern und auch an finanzieller Unterstützung. So schlimm kann es also um uns nicht bestellt sein. Allerdings werden die lokalen Bildungsveranstaltungen und Straßenaktionen medial deutlich weniger wahrgenommen als zentrale spektakuläre Aktionen.

Man könnte jetzt Satz für Satz auf Deinen Beitrag eingehen. Man könnte sagen, dass es etwas unfair ist, ausgerechnet in Gremien wie dem Ratschlag mehr junge Menschen zu erwarten, die auf den Sommerakademien durchaus zu sehen sind. Man könnte die sehr kurze Liste der Deiner Meinung nach erwähnenswerten Kampagnen und Aktionen der letzten Jahre um ein Vielfaches verlängern (niemand verlangt, dass Du alles mitbekommst, was Attac auf die Beine stellt, aber Deine Aufzählung ist mehr als nur unvollständig). Man könnte darauf hinweisen, dass Attac mit der Initiierung der Recht-auf-Willkommen-Plattform ganz aktuell ein wichtiges Projekt zum Flüchtlingsthema ins Zentrum gestellt hat – auch das scheint an Dir vorbeigegangen zu sein, wenn Du forderst, dem Flüchtlingsthema in Attac mehr Raum zu geben. Doch vermutlich ist das grundlegende Missverständnis nicht an diesen und anderen Detailfragen zu klären.

Entscheidender ist: Niemand in Attac kann durch reines Wollen bestimmen, dass die Machtverhältnisse anders sein sollen. Deine Vorstellung, dass allein durch eine Veränderung der Aktionsformen die Machtverhältnisse zu verändern seien, ist naiv. Menschen wählen ihre Aktionsformen selbst, sie werden nicht von oben herab angeordnet – nur so funktioniert Basisdemokratie. Es gibt keine einfache Antwort auf die Herausforderungen an Soziale Bewegungen. Du beschränkst dich darauf, überheblich mahnend den professoralen Finger zu erheben und redest das klein, was die Menschen, die überhaupt noch aktiv sind, an politischen Aktionen auf die Beine stellen. Das halten wir für falsch. Du stellst selbst fest, dass es immer schwieriger ist, Menschen zu motivieren, aktiv zu werden, doch gleichzeitig scheinst Du es Attac anzulasten. Es stellt sich die schlichte Frage: Was versprichst Du Dir davon, die Auseinandersetzung in dieser Form zu führen?

Du weißt selbst, wie Veränderungen in Attac funktionieren: Attacies machen sie. Wenn wir zum Beispiel wollen, dass mehr junge Menschen sich auch in den Gremien engagieren, in denen sie tatsächlich unterrepräsentiert sind, müssen wir dort einen Politikstil pflegen, bei dem eben nicht die politischen Silberrücken versuchen, mit aller Macht ihre Sichtweisen durchzusetzen. Als Mitglied des Wissenschaftlichen Beirats kannst Du etwas dafür tun, dass der Beirat besser mit den Kampagnen verzahnt ist. Als jemand, der sich gern die Problemlage von Attac genauer ansehen will, kannst Du Dich aktiv in den Auswertungsprozess der Studie einbringen. Als Autor kannst Du Menschen ermutigen, sich zu engagieren. Das sind vielversprechende Wege, nicht nur Attac, sondern die Sozialen Bewegungen überhaupt zu stärken. Ein Text wie Deiner, der vollkommen unklar lässt, wer konkret hier eigentlich wozu aufgefordert werden soll, und im hilflosen Appellieren verbleibt, ist dagegen nicht hilfreich.

Thomas Eberhardt-Köster, Mitglied des Koordinierungskreises von Attac

Dirk Friedrichs, Mitglied des Koordinierungskreises von Attac

Hanni Gramann, Mitglied des Koordinierungskreises von Attac

Achim Heier, Mitglied des Koordinierungskreises von Attac

Hermann Mahler, Mitglied des Koordinierungskreises von Attac

Werner Rätz, Mitglied des Koordinierungskreises von Attac

Wolfgang Raul, Mitglied des Koordinierungskreises von Attac

Roland Süß, Mitglied des Koordinierungskreises von Attac

Prof. Dr. Andreas Fisahn, Mitglied des Wissenschaftlichen Beirats von Attac

Prof. Dr. Peter Hermann, Mitglied des Wissenschaftlichen Beirats von Attac

Dr. Silke Ötsch, Mitglied des Wissenschaftlichen Beirats von Attac

Andreas van Baaijen, Geschäftsführer im Attac-Bundesbüro

Stephanie Handtmann, Geschäftsführerin im Attac-Bundesbüro

Kay Schulze, Kampagnenunterstützer im Attac-Bundesbüro